DIAGNOSEN

1. Unterschiedliche Sichtweisen zwischen Arzt und Paar

Kinderwunschärzte bewerten den Schweregrad einer Diagnose anders als Kinderwunschpaare.

„Welche Chancen hat dieses Paar mit einer bestimmten Anzahl an IVF/ICSI – Versuchen?“ So denkt der Arzt – selbst wenn er es nicht offen kommuniziert

„Wie sind unsere Chancen, spontan schwanger zu werden?“ Diese Frage beschäftigt die meisten Paare zu Beginn der Diagnostik. Entsprechend „schwer“ oder „leicht“ schätzen sie ihre Diagnose ein.

Einige typische Beispiele für die unterschiedlichen Sichtweisen:

PAAR

Mann, 38 Jahre: schwere Einschränkung des Spermiogramms (OAT 3).
Frau, 34 Jahre, kein auffälliger Befund.
Das Paar hat das Gefühl, die Chancen auf eine Schwangerschaft stehen ziemlich schlecht.

Frau 41, Mann 45, Kinderwunsch besteht seit zwei Jahren.
Beide haben sich spät kennengelernt.
Beide sind ohne auffälligen Befund.
Das Paar ist erleichtert, es denkt: „Die Medizin wird es schon hinkriegen!“

Frau 28, Mann Anfang 30, Kinderwunsch besteht seit zwei Jahren.
Mann ohne auffälligen Befund, Frau leidet unter leichter Endometriose.
Das Paar hat große Hoffnungen auf eine spontane Schwangerschaft.



Frau 38, eingeschränkte „ovarielle Reserve“; das bedeutet, dass die fruchtbare Zeit bald vorbei sein könnte. Mann 38, leichte Einschränkung des Spermiogramms (OAT 1). Kinderwunsch besteht seit 1,5 Jahren. Das Paar denkt: „Wir sind immer noch deutlich unter 40, Eizellen sind vorhanden, die Spermien sind so la-la. Die vorgeschlagene IVF / ICSI wird uns schon helfen.“

Frau, 32, sehr langer Zyklus (Eireifungsstörung).
Mann, 31, Einschränkung des Spermiogramms (OAT 2).
Das Paar denkt: „Doppeltes Problem = schweres Problem.“

ARZT

Sieht im Ultraschall, dass die Frau gut stimulierbar ist, d.h. dass ihre Eierstöcke durch eine Hormongabe mehrere befruchtungsfähige Eizellen in einem Zyklus produzieren können.
Das müssten wir mit  zwei bis drei ICSIs hinbekommen. Gute Prognose!

Schnellstmöglich in die IVF/ICSI, damit wir noch genügend Eizellen bekommen.
Könnte sein, dass nur noch eine von zehn Eizellen genetisch in Ordnung ist.
Hoffentlich schaffen sie es noch…

Da steckt mehr dahinter! Ein Befruchtungsproblem trotz normalem Spermiogramm?
Vielleicht gibt es Probleme mit dem „Eiauffangmechanismus“?
Um die Befruchtungsfrage zu klären würde der Arzt einen diagnostischen IVF empfehlen, er sieht aber, dass das Paar noch nicht soweit ist.
Alternativ können sie aus seiner Sicht mit Inseminationen „hineinwachsen“ in die evtl. notwendige IVF.

Hoffentlich klappen die Stimulationen der Eierstöcke einigermaßen! Vielleicht drei bis vier Eizellen pro Stimulation, ergibt etwa einen guten Embryo pro Versuch. Und der muss auch noch genetisch in Ordnung sein – was ich ihm so nicht ansehe. Das kann dauern. Das könnte eng werden.

Sehr gute Chancen!
Stimulation bekomme ich hin, einfach Eierstöcke anschubsen!
Zur Sicherheit ICSI, um keine Eizelle zu verlieren.
Ein oder zwei Versuche bis zur Schwangerschaft – wenn sie Glück haben.

Für das Paar sind vor allem Diagnosen gravierend, die eine spontane Schwangerschaft weitgehend ausschließen: etwa Eileiterverschluss oder starke Einschränkung des Spermiogramms.

IVF-Ärzte haben andere „Feinde“, die sie auch „limitierende Faktoren“ nennen:

  • Fortgeschrittenes Alter der Frau (das Spermiogramm ist ihnen weitgehend egal, dafür gibt es ICSI)
  • Eingeschränkte ovarielle Reserve – selbst bei Frauen unter 40 Jahren
  • Nicht allzu gute Embryonenentwicklung bei den vorausgegangenen IVF/ICSI-Versuchen
  • Schlechte Befruchtungsrate trotz ICSI
2. Sein Problem und ihre Behandlung

Vorweg: Eingeschränkte Spermiogramme sind heute eine Zivilisationskrankheit. Unter langjährigen Biologen und IVF-Labor-Mitarbeitern im IVF-Labor kreist daher der Spruch „Die Männer werden immer schlechter“.

Aber: Kein Mann kann etwas für seine Diagnose! Außer er praktiziert bewusst fruchtbarkeitsschädigendes Verhalten, etwa Rauchen oder Anabolika-Missbrauch.

Eingeschränkte Spermiogramme können in den meisten Fällen weder durch Medikamente noch durch Operationen verbessert werden. Ergo: Das – eigentlich – männliche Problem muss an der Frau therapiert werden, konkret wird also seine Einschränkung ausgeglichen, indem sie eine ICSI macht.

Was bedeutet dies für die Paarbeziehung? Für die meisten betroffenen Männer ist es sehr schwer auszuhalten, was ihre Frau nur ihretwegen durchmachen muss. Akribisch und ohne etwas zu sagen beobachten sie deren psychische und physische Befindlichkeit.

Viele Männer geben ihre Frau auch kurz nach einer solchen Diagnose „frei“: „Ich möchte Deinem Lebenstraum nicht im Wege stehen. Mit einem anderen Mann kannst Du problemlos Kinder haben.“ Die meisten Frauen fühlen sich dadurch zurückgestoßen, sie denken: „Es ist doch unser gemeinsames Problem! Ich will von keinem anderen Mann ein Kind!“

Psychologisch betrachtet kommt es an diesem Punkt zu einer Neuentscheidung unter veränderten Rahmenbedingungen.

Frauen beurteilen die Lage nach einer ICSI-Diagnose ganzheitlich:

  • Er ist der Mann, der es wert ist, dass ich ICSI für ihn mache.
  • Er gleicht seine „Einschränkung“ in anderen Bereichen aus, da er ein sehr aufmerksamer und liebevoller Partner ist.
  • Ich möchte ihn und keinen anderen als Vater meiner Kinder.
  • Ich bin augenscheinlich gesund und kann seine „Einschränkung“ ausgleichen.

Auch bei einem sogenannten OAT-III Syndrom brauchen Biologen im IVF-Labor nur wenige Minuten, um genügend vitale Spermien für die punktierte Eizellen zu finden.  Das bedeutet: „ICSI-fähig“.

Schwierig, aber nicht unmöglich, wird es hingegen für die Embryologen, sobald das Spermiogramm an der absoluten Untergrenze ist. Dann suchen sie teilweise mehrere Stunden nach geeigneten Spermien – und gehen am Abend zufrieden nach Hause, wenn sie „fitte Jungs“ für ihre warmgestellten Eizellen gefunden haben.

Das sogenannte OAT-Syndrom macht nämlich nur eine Spontanschwangerschaft schwierig, weil  zu wenige „Kumpels“, sprich Spermien, an der Eizelle ankommen, um diese „biochemisch zu bearbeiten“. Dies aber ist notwendig, damit es am Ende ein Glücklicher schafft, tatsächlich in die Eizelle einzudringen.

Befruchtung ist Teamwork – sowohl bei einer spontanen Zeugung als auch im IVF-Labor.

Und: Ein ICSI-Mann ist ein normaler Mann – er hat nur eine Besonderheit.

3. Ihr Problem und ihre Behandlung

Bei 30 bis 40 Prozent aller Kinderwunschpaare liegt das Problem des Nicht-Schwangerwerdens an der Frau – sie ist die alleinige Diagnoseträgerin.  Sie hat zum Beispiel einen Eileiterverschluss, Eireifungsstörungen, Endometriose oder PCO, – während das Spermiogramm ihres Mannes in Ordnung ist.

Was passiert typischerweise zwischen den Partnern in dieser Konstellation? Die Frau ist aktionsorientiert und bereit alles dafür zu tun, damit ihr Problem erfolgreich behandelt wird.Für sie gibt es Therapievorschläge.

Nicht selten ist jedoch der Mann mit der Geschwindigkeit seiner Frau überfordert. Er klinkt sich aus, an ihm liegt es schließlich auch nicht.

Die Partnerschaft stellt der Mann – in der Regel – nicht infrage, zumal er seine Partnerin mehr als Frau an seiner Seite sieht, denn als Mutter seiner potenziellen Kinder.

Das psychologische Risiko in dieser Konstellation liegt darin, dass die Frau die Behandlung allein durchzieht und aushält. Im Fall eines wiederholten Misserfolgs wird es also einsam um sie.
Und erst dann spürt die Frau auch das deutliche Defizit an Unterstützung.

Wie lässt sich dieser Schieflage vorbeugen?

  • Achten Sie als Frau darauf, ihren Mann zu „integrieren“ und jegliche Behandlungsentscheidung ergebnisoffen mit ihm zu diskutieren.
  • Sagen Sie als Mann klar „Stop! Pause!“ wenn Ihnen der Zeugungs- und / oder Behandlungsstress zu groß wird.
  • Zeigen Sie als Frau Ihrem Mann auch Ihre negativen Gefühle wie Selbstzweifel, Angst, Neid – selbst wenn Sie Angst haben, dass er dann nicht mehr mitmacht. Wenn Sie jedoch alles mit sich allein ausmachen, „platzen“ Sie irgendwann.

Sonderkonstellationen von „Ihr Problem und Ihre Behandlung“ gibt es manchmal bei den Diagnosen PCO und schwerer Endometriose. „Endemetriose-Frauen“ denken, wie schwer sie ihrem Mann das Leben mit ihren monatlichen Schmerzen machen. Und nun können sie ihm nicht einmal ein Kind schenken.

PCO-Frauen kämpfen oft mit Haut-und Gewichtsproblemen. Sie fühlen sich ohnehin häufig unattraktiv. Das Kinderwunschproblem kommt nun „on top“ dazu.

Leichter gesagt als getan: Lassen Sie das Problem Fruchtbarkeitsstörung nicht zu dem werden, was Ihre Persönlichkeit bestimmt! Sie sind mehr als das Problem!
Achten Sie auf Ihre Attraktivität und auf Ihre Genussfähigkeit. Daraus beziehen sie Selbstwert als Frau.

4. Es liegt an beiden

Das ist psychologisch meist die einfachste Konstellation eines Kinderwunschpaares. Sowohl Mann als auch Frau könnten auch mit anderen Partnern nicht so einfach Kinder haben.

Auf einer archaischen Fruchtbarkeitsebene ist zwischen beiden Partnern ein Gleichgewicht geschaffen.

„Da haben sich die zwei Richtigen gefunden“, sagen solche Paare daher oft.

Prognostisch gesehen ist es  in solchen Fällen keinesfalls doppelt so schwierig, schwanger zu werden. Die Chancen errechnen sich auch hier aus dem Alter der Frau und aus der Eizellanzahl sowie Embryonenqualität.Nicht jedes Fruchtbarkeitsproblem ist gleich „schwer“ zu gewichten.  Eireifungsstörung und Gelbkörperschwäche sind zum Beispiel gut zu behandeln, etwa durch Hormongabe, ein stark eingeschränktes Spermiogramm hingegen nicht.

Frauen sollten sich also nicht „kränker“ machen als sie es sind – nur um ihren Partner zu schonen.

5. Kein Befund!

Keine Diagnose zu haben ist die schwerste Diagnose. Beide Partner wurden im Kinderwunschzentrum komplett durchgecheckt und nichts wurde gefunden.

Die innere Ursachensuche kann beginnen.

Sollten Sie eines dieser Paare ohne auffälligen Befund sein, ist es wichtig, Folgendes zu wissen:

Keine Diagnose zu haben, wirft Sie in der Behandlungsentscheidung auf sich selbst zurück. Naturheilkunde? Psychotherapie? Entspannungsmethoden? Kinderwunschbehandlung?Glücklicherweise verhaften betroffene Paare nicht allzu lang in einer einzigen der o.g. Methoden. Hat Methode X ein halbes Jahr lang nicht den gewünschten Erfolg gebracht, wird Methode Y ausprobiert.Nach und nach werden alle Möglichkeiten einbezogen, um schwanger zu werden. Und das ist gut so.

  • Psychogene Sterilität, also Unfruchtbarkeit aufgrund seelischer Leiden, ist sehr selten. Fortpflanzung funktioniert schließlich auch in ungünstigen Zeiten, sogar im Krieg.
  • „Kein Befund“ lässt sich erst mit der ersten künstlichen Befruchtung gesichert feststellen. Befruchtet das normal aussehende Sperma wirklich bei der IVF? Oder braucht es doch eine ICSI? In letzterem Fall wissen Sie zumindest, dass sie ein Befruchtungsproblem haben.
  • Über 40 ist es normal, dass eine Schwangerschaft ein bis zwei Jahre auf sich warten lässt. „Kein Befund“ bedeutet oft „Befund Altersfaktor“.

Keine Diagnose zu haben, wirft Sie in der Behandlungsentscheidung auf sich selbst zurück. Naturheilkunde? Psychotherapie? Entspannungsmethoden? Kinderwunschbehandlung?

Glücklicherweise verhaften betroffene Paare nicht allzu lang in einer einzigen der o.g. Methoden. Hat Methode X ein halbes Jahr lang nicht den gewünschten Erfolg gebracht, wird Methode Y ausprobiert.

Nach und nach werden alle Möglichkeiten einbezogen, um schwanger zu werden. Und das ist gut so.

6. Aneuploidie: Die Evolution hat die Frauen von heute vergessen

Die Natur des Menschen bringt es mit sich, dass genetische Fehlverteilungen in den Eizellen häufig sind – je älter die Frau, umso wahrscheinlicher. Die Veränderungen in der Eizelle entstehen meist spontan, das heißt sie haben nichts mit dem Erbgut der Frau zu tun, von der die Eizelle stammt. Man spricht dann von „Aneuploidien“. Dies bedeutet, dass in der Eizelle einzelne Chromosomen zusätzlich vorhanden sind oder fehlen.

Die bekannteste Aneuploidie ist die Trisomie 21 (Down Syndrom). Sie ist mit dem Leben vereinbar. Fehlverteilungen bei anderen Chromosomen sind genauso häufig, kommen aber meist nicht zur Geburt. Sie enden als schlecht entwickelter Embryo, als Nicht-Schwangerschaft oder als Abgang.

Die Natur hatte offenbar einst nicht vorgesehen, dass der Menschen älter als 40 bis 45 Jahre werden. Deshalb spielte die Fruchtbarkeit in diesem Alter für die Evolution keine Rolle mehr. Heute ist das anders. Und diese Tatsache limitiert daher leider den IVF-Erfolg – und auch die Chancen aller Frauen, die später eine Familie gründen wollen und auf eine spontane Schwangerschaft hoffen.

Die Anzahl und Struktur der Chromosomen für ein neu entstehendes Leben kann von Menschenhand – sprich vom IVF-Labor – nicht beeinflusst werden, ist aber der häufigste Grund für einen Misserfolg bei einer IVF-Behandlung.Die Ursache der zufälligen Fehlverteilungen liegt darin, dass die Eizellen am Anfang des Lebens einmalig hergestellt werden – sprich Ihre Eizellen entstanden in der Schwangerschaft Ihrer Mutter mit Ihnen. Eizellen verharren dann in einer Art Ruhezustand („Diktyotän“). In diesem Zustand sind sie relativ „verletzlich“, was äußere Einflüsse betrifft, und es kommt – im Vergleich zu Spermien – relativ leicht zu Beschädigungen des Erbguts.

Für die hohe Häufigkeit von Aneuploidien beim Menschen gibt es viele Hinweise und Untersuchungen:

  • Bei Frauen über 40 Jahren sind 80 bis 90 Prozent aller Eizellen „aneuploid“.
  • Auch unter 40 Jahren produziert die Natur schon gut „Ausschuss“.
  • Bei einer sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID) einem  „Aneuploidie-Screening“ haben genetische Labors gern mehrere Blastozysten eines Paares zur Untersuchung, damit wenigstens eine intakt ist – und es somit überhaupt zum Embryonentransfer kommen kann.
  • Frauen deutlich jenseits der 40 werden mit gespendeten „jungen“ Oozyten (also Eizellen einer jüngeren, fremden Frau) sehr viel schneller schwanger und diese Schwangerschaften sind deutlich häufiger intakt. Allerdings ist die Eizellspende in Deutschland verboten. Wenn Kinderwunschfrauen an ihrer „defekten Einnistung“ verzweifeln, steckt also häufig der „aneuploide Embryo“ dahinter, der es gar nicht schaffen kann. Der Embryo (nicht die Gebärmutter!) ist der entscheidende Dritte!

Für diejenigen unter Ihnen, die dieses komplizierte Thema noch genauer interessiert, ist hier noch eine –  stark vereinfachte –  biologische Zusammenfassung:

Eizellen haben wie jede Körperzelle einen doppelten Chromosomensatz. Bevor das Sperma in die Eizelle eindringt, muss diese nach ihren eigenen Reifeteilungen einen Chromosomensatz ausschleusen. Schließlich bringt die Samenzelle einen halben Chromosomensatz für das möglicherweise entstehende Kind mit. Die Samenzelle wiederum hat ihre Reifeteilung bereits im Hoden abgeschlossen.

Dieses Ausschleusen gelingt oft nicht.

Bestimmte Chromosomen, etwa 7, 13, 14,16, 18, bleiben somit in der Eizelle „kleben“, sind also doppelt vorhanden und werden mit dem Chromosomensatz des Mannes dann zur Trisomie 7, 13 usw.

Alle diese Trisomien sind nicht mit dem Leben vereinbar.

Schleust die Eizelle irrtümlicherweise beide oder Teile beider Chromosomensätze aus, spricht man von einer „Monosomie“. Diese führt ebenfalls zu keiner Schwangerschaft oder es kommt  zu einem Abort.

AneuploidierateTag-3 Embryonen
AneuploidierateBlastozysten
Patientin unter 35 Jahre
53,1 %
31,7 %
Patientin 35 – 37 Jahre
68,2 %
44,2 %
Patientin 38 – 40 Jahre
73,7%
43,1 %
Patientin 41 – 42 Jahre
85,5 %
76,3 %
Patientin über 42 Jahre
92,6%
84,8%

Harton et al                                                                                                                            fertil steril 2013

Entscheidung

7. Entscheidung unter Ungewissheiten

Niemand wählt den Weg der künstlichen Befruchtung ohne Not. Es gibt handfeste Gründe dafür: etwa harte Diagnosen, langjährige Unfruchtbarkeit ohne klare Ursache (idiopathische Sterilität), fortgeschrittenes Alter.

Es gibt keine Garantie, dass Sie über den Weg der Kinderwunschbehandlung schwanger werden. Es ist ein Versuch – nicht mehr, nicht weniger.

Aber: Es gibt Wahrscheinlichkeiten, wie hoch die sogenannte kumulative Geburtenrate nach mehreren Behandlungen ist. Sprich: Nach wie vielen Versuchen man mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gesundes Baby zur Welt bringt.

Psychologisch beschreiten Sie mit einer Kinderwunschbehandlung einen ergebnisoffenen Weg.Sich dafür zu entscheiden, ist stets eine Entscheidung unter Ungewissheiten:

  • Führt der Weg zu einem Kind?
  • Wie geht es uns als Paar dabei?
  • Wie wirken die Hormone bei der Frau?

All diese Fragen lassen sich erst im Nachhinein beantworten. Sie haben jedoch zu jeder Zeit die Freiheit, den Weg der Kinderwunschbehandlung zu verlassen.

Viele Paare vergessen auch auf diesem Weg, dass es unter Umständen doch noch zu einer Spontanschwangerschaft kommen kann. Den berühmten Vierer oder Fünfer im Lotto gibt es tatsächlich öfter. Nutzen sie also jede Chance.

8. Warten auf den Partner

Meist ist einer von beiden Partnern die treibende Kraft bei der Diagnose und einer möglichen  Kinderwunschtherapie. Das ist für die Paarbeziehung nicht immer einfach.

Dennoch gilt: Der schnellere Partner wartet auf dem Langsameren – und umgekehrt. Sonst kann es zu einem bösen Erwachen im Fall von Misserfolgen kommen: „Ich habe ja nie richtig ,ja‘ gesagt“, meint etwa der Partner, dem es zu schnell ging.

Da wiederum für ein „Nein“, ein Partner genügt, es für ein „Ja“ allerdings beider Partner bedarf, kann in diesem Fall ein Problem in die andere Richtung: wenn nämlich der unentschiedene Partner den anderen blockiert.

Auf einer – sachlichen medizinischen – Ebene ist folgendes Vorgehen sinnvoll:

  • Suchen Sie nach ein bis zwei Jahren unerfülltem Kinderwunsch ein Kinderwunschzentrum auf. Diagnostik bedeutet ja noch nicht Therapie! Wenn Sie keinen auffälligen Befund erhalten – sprich keiner von beiden Partnern in seiner Fruchtbarkeit eingeschränkt ist –, dann können Sie sich oft noch Zeit geben, also weiter versuchen, spontan oder mithilfe von Zyklusmonitoring schwanger zu werden. Dies gilt aber nicht unbedingt wenn Sie auf die 40 zusteuern!
  • Sollte die Diagnostik ergeben, dass Sie eine mittelgradige oder gravierende Fruchtbarkeitseinschränkung haben, stehen Sie vor der aktiven Entscheidung für oder gegen eine Kinderwunschbehandlung.

Durchschnittlich vergehen 3,7 Jahre bis Paare die erste IVF/ICSI in Anspruch nehmen (vgl. Deutsches IVF-Register).

Erdbeben in der Paarbeziehung entstehen

  • wenn ein Partner die Diagnostik verweigert bzw. verzögert.
  • wenn nach vier bis fünf Jahren unerfülltem Kinderwunsch erstmalig eine harte Diagnose fällt.
  • wenn ein Partner gegen eine Therapie ist, kurz vor dem 40. Geburtstag der Frau doch noch eine Therapie begonnen wird – aber dann Misserfolg auf Misserfolg folgt.

Verpasste Chancen belasten mehr als die Folgen falscher Entscheidungen. Innere Vorwürfe an den Partner und Schuldzuweisungen sind die Konsequenz.

Zusammengefasst: Der schnellere Partner gibt bei der Diagnostik das Tempo vor, denn er hat das – stärkere –  Bedürfnis zu wissen, woran er ist.

Umgekehrt ist es beim Therapie-Einstieg: Hier wartet der schnellere Partner auf den Langsameren, denn es macht wenig Sinn, eine Kinderwunschbehandlung zu beginnen, wenn ein Partner „noch nicht so weit ist“.

Glücklicherweise ist es für viele Paare ein wechselseitiger Beeinflussungsprozess. Jeder der beiden Partner segelt im Windschatten des anderen. Entscheidungen werden gemeinsam gefällt.

9. Drei Versuche plus X

Gehen Sie nicht davon aus, dass Sie bei der ersten Behandlung schwanger werden. Meist bedarf es mehrerer Versuche. In den Bereich von „interessanten“ Schwangerschaftsraten kommen Sie erst mit der sogenannten kumulativen Schwangerschaftsrate.

Die Schwangerschaftsrate pro Embryonentransfer beträgt durchschnittlich 32 Prozent. Ihre Chancen können individuell höher oder niedriger sein – je nach Alter, Eizellanzahl, Befruchtungsrate und Embryonenqualität.

Seit dem 1. Januar 2004 begrenzen die Gesetzlichen Krankenkassen die (mit-)finanzierte Anzahl der Behandlungen auf drei. Bis Ende 2003 konnte jede Frau unter 40 Jahren noch vier bis sechs voll finanzierte IVF/ICSI in Anspruch nehmen.

Die Begrenzung auf drei finanzierte künstliche Befruchtungen führt bei vielen Paaren zu einer mentalen Begrenzung im Kopf: Nach drei Misserfolgen sehen sie sich oft als chancenlos, vielleicht sogar als „austherapiert“ an. Das ist aber ein Trugschluss. Entscheidend ist die die sogenannte kumulative Geburtenrate – die nach sechs Therapiezyklen altersabhängig bei 72 bis 86 Prozent liegt (www.deutsches-ivf-register.de / Jahrbuch 2014; S.10).

„Drei Versuche plus X“ bedeutet, dass Sie nach drei Misserfolgen nicht zwingend den Kopf in den Sand stecken müssen. Von Mal zu Mal können Sie entscheiden ob Psyche, Geldbeutel und bisheriger Verlauf einen weiteren Versuch möglich machen. Sprechen Sie auch ruhig mit Ihrem behandelndem Arzt darüber.

10. Entscheidungslähmung

Die Entscheidungsfreiheit kann Probleme verursachen. Menschen, denen insgesamt Entscheidungen schwer fallen, plagen sich oft lange mit einer Entscheidung für oder gegen eine Kinderwunschbehandlung. Gleiches gilt für die Entscheidung, mit der Behandlung aufzuhören, weil frühere Versuche stets erfolglos geblieben sind. In beiden Fällen ist und bleibt es eine Entscheidung unter Ungewissheiten: Niemand kann Ihnen ein Baby garantieren. Dennoch: Je länger man jedoch eine Entscheidung hinausschiebt, umso weniger wird man seine Unentschlossenheit überwinden (vgl. prospect theory).

Wenn Sie unter Entscheidungslähmung leiden, setzen Sie sich eine „deadline“ und legen Sie diese „deadline“ auch als Paar gemeinsam fest. Sprechen sie das auch ruhig laut aus.

11. Eine unterlassene Entscheidung ist auch eine Entscheidung

Wenn Sie sich gemeinsam als Paar nicht für eine Kinderwunschbehandlung entscheiden können, ist dies auch eine Entscheidung. Ihr Unterbewusstsein hat Einwände, oder Ihr Kinderwunsch ist nicht stark genug ausgeprägt. Meist ist dabei der Treiber die Hoffnung auf eine Spontanschwangerschaft.

„Wir haben es einfach immer wieder hinausgeschoben und dann war es eh zu spät“, beschreibt das Empfinden dieser Paare ziemlich treffend. Eine unterlassene Entscheidung verläuft innerlich ruhiger als eine Entscheidungslähmung.

Machen Sie sich stets klar: Kinderwunschbehandlung ist eine Wahl- bzw. Wunschmedizin.

Behandlung

12. Es ist ein Versuch – nicht mehr und nicht weniger

Wenn ein Versuch nicht geklappt hat, sind Sie „noch nicht schwanger“. In welche Richtung sich die Zukunft entwickelt, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.

Geben Sie die Verantwortung über den Verlauf und den Ausgang des Behandlungszyklus‘ ab – an den IVF-Arzt und auch an so etwas wie das Schicksal.  Übernehmen Sie nur die Verantwortung dafür, wie es Ihnen und Ihrem Mann bzw. Ihrer Frau bei der Behandlung geht.

13. Der Embryo ist der entscheidende Dritte!

Beim Embryonentransfer am Tag 5 hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Der Embryo hat an diesem Tag im Idealfall das sogenannte Blastozysten-Stadium erreicht.  Am Tag 2 oder Tag 3 schauen hingegen noch viele Embryonen gut entwickelt aus. Kommt es also schon so früh zu einem Transfer, lassen sich weitaus weniger Aussagen über die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit treffen als am Tag 5.

In den Köpfen der IVF-Ärzte blinkt bei einem Transfer mit zwei guten Blastozysten die Schwangerschaftsrate von 40 bis 50 Prozent auf. Allerdings lassen sich Blastozysten nicht herstellen. Sie entwickeln sich – oder eben nicht. Tag 5 Transfer ist „finaler“ – d.h. entweder werden Ihnen wirklich gute oder deutlich reduzierte Chancen kommuniziert. Letzteres wenn z.B. nur eine Morula und ein Vielzeller für den Transfer zur Verfügung steht.

Der „Biofaktor“ – sprich die Qualität des Embryos – spielt nach einem Transfer auch eine weitaus größere Rolle als der „Psychofaktor“, sprich die Einstellungen, Ängste oder andere Gedanken der betroffenen Frau, die endlich schwanger werden möchte.

14. Schaden negative Gedanken der Einnistung?

Ängste und Befürchtungen sind ein innerer Dauerzustand in der Wartephase, also nach dem Embryotransfer und vor dem ersten Schwangerschaftstest.

Kompliziert wird es, wenn sich die Frau fragt, ob ihre – oftmals vielen – negativen Gedanken womöglich der Einnistung schaden. Richtig ist, dass diese Gedanken die Schwangerschaftsrate nicht nach unten drücken. Das belegen Studien.

Eine schwedische Untersuchung kommt etwa zu dem Ergebnis, dass sowohl negativ als auch positiv denkende Frauen nach einer IVF gleich gut bzw. gleich schlecht schwanger werden. Entscheidend ist hierbei die Embryonenqualität. Will heißen: Die Frauen mit den besseren Embryonen wurden deutlich öfter schwanger als diejenigen mit den weniger potenten.

Die meisten Experten gehen schlichtweg davon aus, dass negative Gedanken zwar den Umgang mit der Behandlung, jedoch nicht die Schwangerschaftsraten verbessern. Trotzdem gibt es natürlich auch im Kinderwunschbereich einzelne Experten, die der Meinung sind, dass deren Methoden ultimativ dabei helfen, „Blockaden“ zu lösen.

Dennoch: Würde Psychologie helfen, schneller schwanger zu werden, hätte jedes Kinderwunschzentrum zwei bis drei Psychologen eingestellt, die jeden Tag zum Beispiel ein Entspannungstraining mit betroffenen Frauen machen. Da dies aber weltweit nicht der Fall ist, bleibt die „best practice“, die Wartephase einfach nur auszuhalten.

15. Lassen Sie Ängste und Hoffnungen zu

Eine Kinderwunschbehandlung eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Hoffnung und Angst wechseln sich in kurzen Abständen ab.

Hoffnung lässt sich eben nicht bei 30 Prozent einstellen – so hoch ist die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit nach einem Embryotransfer schwanger zu werden. In hoffnungsvollen Momenten malen Sie sich in zu 100 Prozent die Schwangerschaft und das spätere Leben mit ihrem Kind aus. Und das ist gut so! Zensieren Sie Ihre Träume nicht!

In weniger guten Momenten bekommen sie es aber wieder mit der Angst zu tun: Da jedoch verdrängte Ängste im „Untergrund“ wirken und sich Ventile schaffen, ist es letztlich besser, diese akute Angst zuzulassen und sie auszuleben. Zunehmend kann es dabei auch gelingen, die Angst aus einer „Helikopterperspektive“ wahrzunehmen: „Ok, da ist die bekannte Angst wieder, sie gehört dazu und vergeht auch.“

Nochmal: Ängste im Behandlungszyklus sind normal und verschlechtern nicht die Schwangerschaftschancen.  Das Akzeptieren der Angst ist somit kein selbstschädigendes Verhalten.

16. Werden Sie Sympathieträger für das IVF-Team

Die rund 130 deutschen IVF-Teams stellen schon seit Jahren fest, dass der Anteil an fordernden, schwierigen und respektlosen Paaren steigt. Insbesondere an der Anmeldung und am Telefon wird dies deutlich.

Aber: Kinderwunschpaare, die mit dem IVF-Team gut kommunizieren, fahren in der Behandlung weitaus besser als Patienten, die offensichtlich keinen Wert darauf legen. Erstere erhalten mehr Aufmerksamkeit, mehr Hintergrundinformationen, mehr gute Wünsche vom Teams. All das führt dazu, dass diese Paare trotz der Umstände noch relativ „gern“ ins Kinderwunschzentrum gehen. Und 20 bis 30 Besuche sind bei mehreren Behandlungensind schnell zusammen.

Vergessen Sie auch nicht: Eine medizinische Fachangestellte in einem Kinderwunschzentrum hat meist eine höhere Kompetenz als eine „normale“ Arzthelferin.

Das IVF-Labor hat oft wenig Patientenkontakt. Die Mitarbeiter dort tragen jedoch entscheidend zur Schwangerschaftsrate des Zentrums bei.

17. Realistische Chanceneinschätzung

Eine realistische Chanceneinschätzung entwickelt sich erst im Lauf der Zeit. Am Anfang hoffen Sie entweder zu 100 Prozent – oder Sie haben komplett negative Ahnungen. All dies findet aber nur in Ihrem Kopf bzw.  Bauch statt.

Psychologisch betrachtet ist es ohnehin so, dass „Hochwahrscheinliches“ eher unterschätzt und „Niedrigwahrscheinliches“ eher überschätzt wird. Konkret: Manche 25-Jährige denkt nach dem ersten missglückten IVF/ICSI-Versuch, dass sie nie schwanger wird – und manche 43-Jährige hat hingegen zu hohe Erwartungen.

Realistisch ist:

  • Frauen unter 30 Jahren haben eine gute Chance, dass Sie nach ein bis zwei IVFs/ICSIs schwanger sind.
  • Frauen Mitte 30 brauchen eher drei bis vier Versuche, um den Bereich von „guten“ Schwangerschaftschancen zu kommen.
  • Bei Frauen über 40, insbesondere über 42, 43, sind die Chancen deutlich geringer, sie liegen pro Versuch bei etwa 10-20% Prozent. Bei etwa der Hälfte dieser Schwangerschaften über 42 kommt jedoch es zu einem Frühabort so dass die Baby-take-home-Rate bei 5-10% liegt.
  • Entscheidend ist für den IVF-Arzt, wie gut eine Frau stimulierbar ist, da die Anzahl der Eizellen für alle weiteren Schritte sozusagen die Grundlage darstellt. („Das Stimulationsergebnis soll optimal und nicht maximal ausfallen.“ Wobei hier die Qualität der Eizellen entscheidend ist – viele Eizellen bedeuten nicht automatisch ein gutes „Befruchtungsergebnis“.)

Die eigene, realistische Chanceneinschätzung für kommt erst mit der Zeit. Misserfolg ist dabei leider der strenge Lehrmeister. „Weh“ tun den IVF-Teams Paare, die trotz guter Chancen vorzeitig aufgeben. Respekt haben die Teams vor jenen Paaren, die sich bewusst aufgrund niedriger Chancen aus der Behandlung verabschieden.

Ein alter Mediziner-Spruch gilt übrigens auch in der Kinderwunschbehandlung: Wahrscheinliches ist wahrscheinlich. Unwahrscheinliches ist unwahrscheinlich.

18. Gedanken- und Gefühlskarussell Wartephase

Wie sind Anzeichen und Symptome in der Wartephase zu interpretieren? Bin ich schwanger oder doch nicht?

Jede Frau versucht, körperliche Symptome in dieser angespannten Zeit irgendwie zu deuten. Das „Lieblingssymptom“ Ziehen im Bauch – Ziehen nach unten ist allerdings irreführend: Mal  kündigt es die herannahende Periode an, mal kann es der Vorbote einer Schwangerschaft sein.

Wenn eine Schwangerschaft eingetreten ist, kommt es zu einer verstärkten Zystenbildung, d.h. die Eierstöcke schwellen an, und diese spüren Sie dann als Ziehen und Druck. Das gilt aber nur bei einem sogenannten „Frischversuch“, nicht bei einem Kryo-Transfer, sprich bei der Übertragung von Embryonen, die nach einer früheren Hormonbehandlung eingefroren wurden.

Tendenziell (aber nur tendenziell!) negativ ist es, wenn im „Frischversuch“ Ihr Bauch zurückgeht und das Brustspannen nachlässt.

Leicht positiv zu interpretieren sind hingegen ein verändertes Geschmacks-und Geruchsempfinden.

Bei aller Symptominterpretation ist jedoch auch zu berücksichtigen, das Progesterontabletten oder auch Spritzen Ihr Empfinden verändern, gar verfälschen können.

Noch eine Rarität am Rande: Völlig unerforscht ist ein verändertes Verhalten Ihres Haustieres bei Eintritt einer Schwangerschaft. Einige schwangere Frauen berichten, dass Ihr Hund bereits in der Wartephase ungewöhnlich anhänglich war („HCG-Süchtling“), wohingegen ihre Katze auf Distanz ging. Ob wirklich was dran ist, wurde bislang nicht erforscht.

19. Die Angst vor dem Schwangerschaftstest

Für fast alle Frauen ist der (erste) Schwangerschaftstest sechs bis vierzehn Tagen nach dem Embryotransfer der schwierigste Moment im Behandlungszyklus. Er gliedert sich in zwei Momente auf: die Blutabnahme am Morgen und die Ergebnisübermittlung gegen Mittag oder am frühen Nachmittag.

Die Nacht davor und in den Stunden bis zum endgültigen Ergebnis haben die meisten Frauen bzw. Paare panikartige Gefühle. Gleichzeitig sind sie froh, dass endlich alles entschieden ist.

Auch im Kinderwunschzentrum zählen die täglichen Anrufe der sogenannten „hcg-Mitteilungen“ zu den schwierigsten Aufgaben (das hcg ist ein wichtiges Schwangerschaftshormon). Was soll man den Betroffenen Tröstendes sagen, wenn man doch weiß, dass am anderen Ende der Leitung gleich eine Welt zusammenbricht?

Für Sie als Paar gilt:

  • Es ruft derjenige im Kinderwunschzentrum an, der mehr Kraft hat als der andere.
  • Sie stellen sicher, dass Sie möglichst schnell bzw. schnellstmöglich nach der Arbeit zusammen sind.
  • Sie halten sich den Abend und die nächsten ein bis zwei Tage möglichst frei von sozialen Verpflichtungen.

Als Mann beachten Sie bei der Nachricht „hcg negativ“ folgende Dinge:

  • Ihre Frau ist jetzt kaum erreichbar für Sie.
    • Führen Sie die nächsten zwei Tage keine Grundsatzdiskussionen – schon gar nicht mit dem Antisatz „Wir können auch ohne Kind glücklich werden“.
  • Nehmen Sie Ihre Frau wortlos in den Arm.
  • Zeigen Sie in Maßen, wie traurig auch Sie sind.
    • Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie für einige Tage an den gefühlten Endpunkt kommen können: Egal, was ich mache, es ist immer falsch. Wirklich helfen kann ihr nur ein Kind.

Für Frauen ist es normal, dass sie zwei Tage durchweinen – bis sie innerlich leer sind. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über eine mögliche Beendigung der Kinderwunschbehandlung zu entscheiden. Nur ein Termin kann Ihnen jetzt unter Umständen Halt geben:  Ein Nach-Gespräch mit Ihrem IVF-Arzt.

Wichtig ist auch, dass Sie sich in den Tagen danach für Ihren Aufwand belohnen – auch wenn er (diesmal) nicht zum Erfolg geführt hat.

Und irgendwann, im Lauf des nächsten Monats, richtet sich Ihr Blick wieder langsam nach vorne.

20. Wie zählt ein Kryoversuch?

Wenn Kinderwunschexperten von drei IVFs oder ICSIs sprechen, meinen sie stets drei Stimulationszyklen.  Eventuelle Kryo-Behandlungen werden zur jeweiligen Stimulation dazu gezählt.

Wenn aus einer Stimulation ein „Frischtransfer“ und zwei „Kryotransfers“ entstehen, ist es mental hilfreich, die Behandlungen als 1a, 1b und 1c zu bezeichnen.

Manchmal sind Frauen enttäuscht, wenn keine Embryonen für eine sogenannte Kryokonservierung übrig bleiben. Dabei ist aber stets zu beachten, welche medizinische Strategie das jeweilige IVF-Zentrum bevorzugt.

Der „deutsche Mittelweg“ in der Interpretation des Embryonenschutzgesetzes besagt, dass maximal zwei entwicklungsfähige Embryonen pro Transfer entstehen sollen. Bei manchen Frauen müssen hierfür mehr Embryonen in einer speziellen Nährlösung kultiviert werden als bei anderen. Die Gründe sind unterschiedlich, entscheidend ist die Eizellen-Qualität.

Somit wird es zum Beispiel bei einem Paar, das in mehreren Vorzyklen Probleme mit der Embryonenqualität hatte, eher kein „Kryo“ geben, da erwiesenermaßen mehr Embryonen an den Start gehen müssen, damit es zwei bis zur Entwicklungsfähigkeit „schaffen“.

21. Schwangerschaft

Und eines Tages ist er doch positiv – der Schwangerschaftstest!

In den Stunden und Tagen danach tritt erst einmal ein ungläubiger hypnotischer Zustand ein. Doch die große Freude ist es zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht, denn Kinderwunschpaare wissen, dass bis zur Geburt vieles passieren kann.

In den ersten Wochen ist eine Schwangerschaft nach einem lange Zeit unerfülltem Kinderwunsch fast immer eine Angstschwangerschaft.

Viele Hürden sind zu überwinden:

  • Stabiler HCG-Wert bei der Blutentnahme
  • Nachweis einer (oder zweier) Fruchthüllen Anfang der 5. Woche
  • Herzaktion des Embryos Ende der 6. bzw. Anfang der 7.Woche

Sobald im Ultraschall ein Herzschlag festgestellt wird, überweisen die Kinderwunschzentren ihre Patientinnen zurück zum niedergelassenen Frauenarzt. Die Schwangerschaft gilt nun als intakt.

Gegen große Angstzustände in dieser Zeit hilft einzig und allein ein Ultraschall. Viele schwangere Kinderwunschfrauen organisieren sich daher engmaschige Untersuchungen in den ersten Wochen: Zweimal Ultraschall im Kinderwunschzentrum, einmal beim niedergelassenen Gynäkologen (zur Feststellung der Schwangerschaft) und noch einen weiteren für das sogenannte Ersttrimesterscreening beim Pränatalmediziner. Und meist noch einen zwischendurch – weil sie irgendetwas beunruhigt.

Etwa 20 Prozent aller IVF-und ICSI-Schwangerschaften enden als frühe Fehlgeburt (Abort, Abgang). Bei vielen dieser nicht intakten Schwangerschaften entwickelt der Embryo keine Herzaktion. Im Umkehrschluss bedeutet das: Sobald beim Embryo ein Herzschlag nachweisbar ist, sinkt das Abortrisiko deutlich unter 20 Prozent. Das „Unsicherheitsdenken“ bis zur 12. Schwangerschaftswoche kommt aus früheren Zeiten, in denen es keine engmaschige Ultraschallüberwachung gab. In vielen Köpfen ist es aber immer noch präsent.

Früher oder später vollzieht sich dann ein innerer Wandel, ein Identitätswechsel: weg vom Problem Kinderwunsch bis hin zur werdenden Elternschaft.

Es dauert jedoch, bis im Kopf ankommt, dass Sie das Problem, das Sie lange Zeit definiert hat, jetzt nicht mehr haben. Die Schwangerschaft wird endlich Normalität.

22. Hilfreiche innere Sätze

Affirmationen sind kurze, prägnante Verstärkersätze, die Sie während der Behandlung innerlich unterstützen.

Glaubenssätze oder „beliefs“, wie sie auf Englisch heißen, sind innere Überzeugungen oder inneres Wissen.

Affirmationen sagen Sie sich also vor – „beliefs“ hingegen „glauben“ Sie.

Hoffnung liegt im Graubereich zwischen Affirmation und Glaubenssatz.

Kinderwunschfrauen haben mit folgenden Sätzen positive Erfahrungen gemacht:

  • Ich weiß (hoffe), dass ich schwanger werde, ich weiß nur nicht, beim wievielten Versuch.
  • Es ist nur eine Frage der Zeit!
  • Ich mache das so lange, bis ich schwanger bin – außer ich verliere vorher die Motivation dazu (die finanzielle Frage ist hier nicht berücksichtigt).
  • Wir sind ein Paar, das es so oder so miteinander schafft.
  • Das Kind kommt zu seiner Zeit. IVF ist nur eine Einladung.

Mann & Frau

23. Männer wünschen sich anders Kinder als Frauen

Eine Frau wünscht sich ein Kind körperlich und voller innerer Sehnsucht. Ein Mann hat eher Bilder im Kopf, was er mit dem Kind alles machen wird. An diesem Unterschied scheitert manchmal die Kommunikation des Paares. Wenn Frauen sich beklagen, dass ihr Mann nie über den Kinderwunsch spricht, stellen sie manchmal einfach nur die falschen Fragen. Viele Männer haben derweil die Tendenz, nicht über „ungelegte Eier“ zu sprechen.

Erlauben Sie sich deswegen, Sie selbst zu sein – und erlauben Sie Ihrem Partner anders zu sein.

Und: Schließen Sie nicht automatisch von sich auf Ihren Partner.

24. Sexualität: „Use it or lose it“

Sex ist ein sehr feiner Seismograph für die Beziehung und für die jeweilige Befindlichkeit beider Partner.

Guter Sex bedeutet sich gemeinsam zu entspannen, einander zu verinnerlichen.

Eine wichtige Voraussetzung ist dafür, dass man sich selbst begehrenswert findet.

Die moderne Sexualtherapie stellt folgende Aspekte in den Vordergrund:

  • Jedes Miteinander-Schlafen stärkt Bindung und Intimität.
  • Wer weniger Sexualität will, hat die Kontrolle (vgl. David Schnarch, 2011).
  • Sexualität in längeren Beziehungen entwickelt sich „von der Wollust zur Wohllust“ (vgl. Volkmar Sigusch).
  • „Slow sex“ und „soul sex“ sind neue Trends.

Sterilität, also Unfruchtbarkeit, stellt Sexualität auf eine harte Probe. Fast alle Kinderwunschpaare kommen auch in eine sexuelle Krise.

Was passiert dabei? Das Nichteintreten einer Schwangerschaft „entwertet“ die Sexualität. Viele Kinderwunschfrauen drücken aus, dass „es“  sowieso nichts bringt (außer vielleicht um die Zeit die Eisprungs). Trotz einer Trennung von Sexualität und Fortpflanzung (Stichwort Pille oder auch IVF) scheint beides in unseren Köpfen doch noch eng verbunden zu sein.

Ein zweiter Krisenfaktor ist, dass bei wiederholten IVFs/ICSIs  viele Eingriffe und Manipulationen im intimsten körperlichen Bereich der Frau stattfinden. Einige Frauen können dies von ihrem sonstigen körperlichen Erleben abspalten, andere nicht. Bei ihnen entsteht dann ein Ruhebedürfnis – und der Wunsch nach intimer Unberührtheit.

Zum Dritten gibt es kaum eine Frau, die in der Wartephase Sex haben will, damit eine mögliche Einnistung nicht gefährdet wird. Dies ist sachlich falsch, „psycho“- logisch jedoch wichtig.

Jedes Paar kann sich aktiv dafür entscheiden, Sexualität wieder in Gang zu bringen. War Sex in der Beziehung schon immer schwierig, wird es in Kinderwunschzeiten noch komplizierter.  War die Sexualität vor dem Kinderwunsch gut, fällt der Weg aus der Lustlosigkeit zumindest leichter.

„Use it or lose it“ bedeutet in diesem Zusammenhang:

  • Kommunikation über Sexualität.
  • Achtsamkeit für die eigene körperliche Attraktivität.
  • „ Vielleicht“ oder „mal schauen“ statt „nein“ zu sagen.
  • „Slow Sex“ mit viel Berührung und ohne „Orgasmusdruck“.
  • Raus aus dem Alltag und „Paarinseln“ schaffen.
25. Drohende Schieflagen

In einer funktionierenden Paarbeziehung stehen beide Partner in einem relativ gleichwertigen Verhältnis zueinander. Unerfüllter Kinderwunsch als Problem ist jedoch stark genug, um diese Balance zumindest phasenweise aufzumischen.

Paartherapeuten machen folgende Kurzdiagnostik bei einem Paar (vgl. u.a. Hans Jellouschek):

 

  • Wo steht die Frau / wo steht der Mann bei jedem der drei u.g. aufgeführten Gegensatzpaare?
  • Wer von beiden Partnern geht mehr in Richtung Nähe, wer mehr in Richtung Distanz?
  • Wer ist mehr der Gebende, wer der Nehmende?
  • Wer ist eher der Starke, wer eher der Schwächere?

Beispiel für eine Selbsteinschätzung eines Paares:

Wer von beiden Partnern besetzt welchen Pol, heißt es in der Sprache von Psychologen.

Mögliche Interpretation des Beispiels:

  • Beide Partner stehen nahe zusammen. Jedoch gibt es wenig autonome Bereiche.
  • Der Mann gibt der Frau viel. Wie geht es ihr, wenn häufig sie diejenige ist, die sein Aufbauen annimmt?
  • Die Frau fühlt sich (durch den Kinderwunsch?) schwach. Wie geht es dem Mann, wenn er ständig stark sein muss? Damit er Schwäche zeigen kann muss sie stärker werden.

Wenn Sie in chronischer Schieflage sind brauchen Sie externe Hilfe und Moderation – vorausgesetzt Sie möchten an diesem Zustand etwas ändern. Die einfachste und absolut positivste Lösung der Schieflage ist (vorübergehend, aber auch oft dauerhaft) der Eintritt einer intakten Schwangerschaft.

Häufige Konstellationen bei längerem unerfüllten Kinderwunsch und nach Misserfolgen sind:

  • Die Frau geht auf Distanz zu ihrem Mann und zieht sich in sich selbst zurück.
  • Der Mann man war schon vor immer der Distanziertere in der Beziehung. Der Kinderwunsch katapultiert nun beide Partner in Richtung Distanzpol.
  • Der Mann erscheint immer stärker, die Frau immer schwächer.
  • Die Frau wird durch die Behandlung, die sie ja unter Einsatz ihres Körpers „gibt“, noch mehr zur Gebenden, als sie es vielleicht schon zuvor war.
26. Wenn der eine unten ist, ist der andere oben

Dieses Prinzip stellt auf wunderbare Art und Weise gegenseitige Unterstützung in der Paarbeziehung sicher.  Der Zuwendung gebende Partner kann seine eigenen Emotionen zurückstellen, um den Partner zu helfen, dem es gerade nicht geht. Viele Kinderwunschmänner sind gute Aufbauer und Mutmacher für ihre Frau.

Doch genau darin bzw. in einer dauerhaften Fehlverteilung der Unterstützung kann auch das Problem liegen:

  • Der Schwache (bzw. häufig die Schwache) wird immer hilfsbedürftiger. Ihr bereits angeschlagener Selbstwert sinkt noch weiter. Diese Konstellation wird in der Paartherapie oft als Pfleger und Pflegling bezeichnet (vgl. Paarkollusionen bei Jörg Willi).
  • Der starke Partner verliert den Zugang zu seinen eigenen Gefühlen, da er ständig mit den Gefühlen des anderen beschäftigt ist. So kann es mit der Zeit gut sein, dass der Mann keine Antwort mehr auf die Frage weiß, wie es ihm mit der ungewollten Kinderlosigkeit geht.
27. Stressbewältigung

Tendenziell haben Männer und Frauen unterschiedliche Mechanismen, um Stress zu bewältigen. Frauen reagieren auf Stress gern mit obsessiven Gedanken („Was kann man noch machen?“, „Warum klappt es bei mir nicht?“) und Dauerschleifen von Zweifeln und negativen Erwartungen im Kopf. Diese reden Sie sich dann oft von der Seele.

Männer bewältigen unlösbaren Stress eher durch wegdrücken und wenig daran denken.

Grundsätzlich gilt bei Kinderwunsch: „Einen Teil bewältige ich alleine, einen Teil bewältigen wir zusammen.“ Diese Einstellung schützt die Beziehung und den stärkeren Partner vor Überforderung. Es ist eine klare Definition der Innengrenzen eines Paares.

Ungünstige Ausschläge gibt es in zwei Richtungen:

  • 1. Das leistungsorientierte Paar

Beide Partner sind beruflich erfolgreich, wissen aber nicht, wie sie Scheitern, Angst und Zweifel ihrem Partner kommunizieren können. Diese Paare können sich über das „Machen“ austauschen, jedoch nur wenig über Gefühle. Zwangsläufig führt dies dazu, dass jeder Partner viel alleine bewältigen muss.

  • 2. Das symbiotische Paar

Dazu gehört oft ein sehr um seine Frau besorgter Mann und eine ängstliche Frau. Beide machen den Kinderwunsch zum gemeinsamen Hauptthema und schotten sich nach außen ab. Diese Paare versuchen zu viel zusammen zu bewältigen. Es fehlt an frischem Wind, an Autonomie und an einer Korrektur durch die Außenwelt.

Das Schöne an Partnerschaft und an Bindung ist, dass die meisten Paare instinktiv den richtigen Mittelweg für sich finden und sich ständig neu anpassen.

28. Wer sich austauschen kann, kann viel zusammen aushalten

Qualität von Kommunikation geht vor Quantität: Manchmal ist weniger mehr. Gerade bei unerfülltem Kinderwunsch verfallen manche Paare in die Gewohnheit, das Thema ergebnislos zu zerreden. Viele Ungewissheiten und unterschiedliche Chanceneinschätzungen führen dazu, dass sich das Paar im Kreis dreht.

Irgendwann ist aber einfach alles gesagt und auch alles getan, was Sie heute tun können.

Zwei Dinge sind an dieser Stelle wichtig:

  • Finden Sie als Paar Ihre individuelle Balance zwischen dem Redebedürfnis der Frau und dem Ruhebedürfnis des Mannes. Diese Balance justiert sich bei neuen Anforderungen oder der Kinderwunschbehandlung neu.
  • Paare stecken sich sehr schnell gegenseitig mit Gefühlen an. Zu viel „darüber“ zu reden kann also leicht zu einer emotionalen Verschlimmerung führen. Denn das, worauf Sie Ihre permanente Aufmerksamkeit richten, wird mehr.

Manche Paare praktizieren phasenweise ein formalisiertes Zwiegespräch (vgl. Michael Lukas Moeller). Dabei wird zu einem festen Zeitpunkt einmal pro Woche mit Zeitbeschränkung über die Beziehung und über das Kinderwunschthema gesprochen.

29. Vermeiden Sie Killerphrasen

Manchmal gelingt es Partnern erstaunlich schnell, den roten Knopf beim anderen zu drücken. In die kommunikative Sackgasse steuern Sie ziemlich sicher mit den Worten „immer“, „nie“ oder „typisch“.  Überspitzt formuliert: „Es ist typisch für Dich, dass Du immer nur an Dich denkst und nie an mich.“ Bei diesen Reizworten macht Ihr Partner innerlich zu.

Auch Kritik sollte besser auf der Verhaltensebene als auf der Identitätsebene geäußert werden. Also nicht: „Du bist der größte Vermeider vor dem Herrn.“ Sondern: „Ich möchte, dass Du morgen im Kinderwunschzentrum anrufst.“

30. Die VW-Regel in der Paarkommunikation

Die VW-Regel in der Kommunikation besagt „Vorwürfe in Wünsche“ verwandeln. Vergessen Sie gerade bei heiklen Themen frühere „typische“ Verhaltensweisen Ihres Partners – und sprechen Sie nur über die Gegenwart oder die nahe Zukunft.

Idealerweise wird ein Wunsch ohne Negation formuliert.
Vermeiden Sie zu sagen: „Ich möchte nicht, dass Du in der Wartephase schon wieder so viele Termine machst.“
Sondern formulieren Sie den Satz positiver, damit Sie bei Ihrem Mann eher Gehör finden: „Mir ist es sehr wichtig, dass du dieses Mal in der Wartephase möglichst oft bei mir zu Hause bist.“

FÜR SIE ALS FRAU

31. Ich bin mehr als das Problem

Kinderwunsch stellt Sie als gesamte Person in Frage und macht Sie labil. In kritischen Phasen generalisieren Frauen gern ihr „Unvermögen“ schwanger zu werden. Sie vergessen, was sie sonst alles können und leisten im Leben. Rücken Sie also wieder die Dinge in Ihr Bewusstsein, die in Ihnen bislang geglückt sind: Beziehung, Job, Freundschaften.

Und: Auch Weiblichkeit ist nicht allein durch Mutterschaft definiert. Bei einem unerfüllten Kinderwunsch ist es besonders wichtig, die Bereiche Gepflegtheit, Attraktivität, Erotik, Genuss und Erfolg hochzuhalten – um Selbst- und Fremdbestätigung darin zu erfahren. Wenn Sie das Beste aus sich und Ihrem Leben machen, sind sie automatisch mehr als das Problem: nämlich eine tolle Frau mit derzeit noch unerfülltem Kinderwunsch.

32. So wie Sie sind, so ist Ihr Kinderwunsch

Frauen sind grundverschieden: ängstlich, leistungsorientiert, optimistisch usw.

Dieses persönliche Muster zeigt sich auch in der Kinderwunschbehandlung. Insofern ist Ihr Erleben der Therapie auch stets eine Aussage über Sie selbst.

Bei ängstlichen Frauen können im Behandlungszyklus viele Befürchtungen auftreten, sehr erfolgreiche Frauen „müssen“ es schaffen, Optimistinnen sagen bei ein bis zwei Misserfolgen: „Pech gehabt“.

Jede Behandlung hat ihre Eigendynamik. Sie ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle und ein 24-Stunden-Dauerthema. Die Nuancen und unterschiedlichen Facetten bestimmt dabei Ihre Persönlichkeitsstruktur.

33. Notfallkoffer für negative Gefühlslagen

Ein individueller Notfallkoffer beinhaltet Akutmaßnahmen, die speziell für Sie wirksam sind. Er ist Ihre erste Hilfe in kritischen Situationen.

Den Inhalt stellen Sie selbst schriftlich zusammen, und zwar in einer Phase, in der es Ihnen gut geht und in der Sie Abstand zum Kinderwunschproblem haben!

Was kann ein Notfallkoffer alles beinhalten? Einige Beispiele betroffener Frauen:

  • Playliste mit Lieblingsmusik zusammenstellen.
  • Einen Spaziergang machen.
  • „Einfach so“ auf seinen Mann zugehen und den Kinderwunsch nicht oder höchstens nur kurz thematisieren.
  • Einen (fiktiven) Urlaub planen und dazu Hotels und Restaurants im Internet recherchieren.
  • Einen leichten Film anschauen, da visuelle Ablenkung gut funktioniert.
  • Eine „positive“ Freundin anrufen.
  • Den Keller oder Abstellraum entmüllen (äußeres und somit auch inneres Aufräumen).
  • Sport treiben.
  • Einen Vergleich nach unten anstellen: Mit wem, den ich kenne, würde ich nicht tauschen wollen?
  • Standardantworten für sozial schwierige Situationen zurechtlegen.

Eine einfache, aber wichtige Notfallmaßnahme ist es auch, in der Wohnung den Ort (etwa die Couch oder das Bett) zu verlassen, an dem Sie normalerweise Ihren Kinderwunschgedanken nachhängen. Damit begrenzen Sie automatisch Ihre Gedankenschleifen.

34. Den Kinderwunsch begrenzen

Kinderwunschgedanken sind manchmal obsessiv. Sie beherrschen uns, sind kaum wieder abzustellen. Mit rationalen Erklärungen lässt sich ihnen nicht beikommen.

Achten Sie darauf, ob Sie Ihre Gedanken und Gefühle noch selbst oder mit Hilfe Ihres Partners begrenzen können.

Dazu gibt es einige Wege:

  • Die Maßnahmen aus dem Notfallkoffer funktionieren.
  • Kalter Entzug: Sie stellen Ihre Internetrecherchen ein und pausieren (angekündigt) im Kinderwunschforum.
  • Sie begrenzen das Thema in Ihrer Kommunikation als Paar.
  • Sie legen Zeiten fest, in denen Sie täglich grübeln dürfen, z.B. 3 x 15 Minuten pro Tag. Danach ist Schluss – und Sie wenden sich gezielt einer körperlichen Aktivität zu.
  • Sie legen eine Pause im Kinderwunschzentrum ein.

Keine Behandlung und keine weiterführende Diagnostik. Letztere hat psychologisch oft die Funktion, nicht nichts zu tun – aber eben auch nicht das Thema einfach mal loszulassen. Weiterführende Diagnostik ist zwar sinnvoll, jedoch psychologisch betrachtet nicht in jeder Phase. Manche Reproduktionsmediziner sagen auch offen, dass sie damit ein Paar bei der Stange halten.

Relative Ruhe finden Sie nur, wenn Sie „clean“ sind von allen Dingen, die Sie emotional triggern – insbesondere Behandlung und Internetrecherche.

Wenn Ihnen diese Verhaltenskontrolle allein nicht gelingt, ist es dringend nötig, sich psychosoziale bzw. psychologische Hilfe zu holen.

35. Männer drücken ihre Gefühle eher durch Handlungen aus

Viele Männer sind darin ungeübt, ausführlich über ihre Gefühle zu sprechen. Vielleicht kennen Sie als Frau die Situation, in der Sie lange nach dem geeigneten Moment suchen, um ein schwieriges Thema bei ihm anzusprechen.

„Was machen wir?“, ist eine geeignete Frage, um effektiv mit die nächsten Schritte zu besprechen. Mit dieser Formulierung „eiern“ Sie nicht herum.

Ein wichtiges Beispiel für den unterschiedlichen Umgang mit Gefühlen ist die Nachricht des Misserfolgs einer IVF/ICSI. Männer agieren bei „HCG negativ“ ihre Trauer oft im Sport, in handwerklicher Arbeit, in der PC-Reparatur oder im Beruf aus. Und sind damit beschäftigt, ihre Frau aufzubauen.

Wenn Sie als Frau nicht viel über die Gefühle Ihres Mannes erfahren, spüren Sie in sich nach, wie es ihm geht. Sie kennen ihn gut genug, um kleine Verhaltensvarianten Ihres Partners interpretieren zu können. Rückzug, Reizbarkeit oder Schweigsamkeit können ein Ausdruck dafür sein, wie nah Ihrem Mann das Thema Kinderwunsch geht.

36. Männer sind keine Gedankenleser

Männer haben einen ausgeprägten Sensor für die Gefühlslage Ihrer Frau. Sprich: Sie sehen es ihr meist sofort an, wie emotional und akut das Thema unerfüllter Kinderwunsch gerade  ist.

Daraus ziehen Männer jedoch unterschiedliche Schlüsse: aus dem Weg gehen, ablenken, so tun, als ob nichts wäre. Den Bedürfnissen einer Frau Bedürfnissen kommt das kaum entgegen. Je klarer Sie als Frau Ihre Wünsche äußern, umso eher bekommen Sie diese erfüllt. Ihr Wunsch sollte für Ihren Mann zudem „lesbar“ sein: Wenn Sie sich mehr „Verständnis“ wünschen, ist dies unspezifisch formuliert. Überlegen Sie sich also vorher, woran sie erkennen würden, dass Ihr Mann mehr Verständnis für Sie hat. Männer können konkrete Verhaltenswünsche viel besser umsetzen als diffuse Allgemeinplätze.

Wenn Sie zudem die „VW-Regel“ beachten, machen sie es Ihrem Mann und sich selbst noch leichter.

37. Bleiben Sie erreichbar für Ihren Mann

Kinderwunschtherapie darf nicht auf Kosten der Partnerschaft gehen. Viele Kinderwunschfrauen neigen dazu, sich irgendwann in sich selbst zurückzuziehen und auf Distanz zu ihrem Partner zu gehen. Im Grunde mögen die Frauen sich in diesen Phasen selbst nicht mehr. Auslöser des Rückzuges sind meist Misserfolge oder negative medizinische Nachrichten in Verbindung mit missglückter Paarkommunikation.

Bildlich gesprochen sitzt die Frau dann allein mit ihrem Problem in einer undurchdringlichen Dunstglocke, während der Mann hilflos draußen steht, abwartet und nicht mehr zu ihr durchkommt.

Ihr Mann kommt zu kurz wenn Sie als Frau nur um den Kinderwunsch kreisen.

Beide Partner müssen in dieser Situation aufeinander zugehen. Als Frau machen Sie wieder „auf“ für Ihren Mann. Und als Mann sind sie erst einmal froh, dass die Phase der Unzugänglichkeit zu Ende ist.

38. So steht Ihr Mann hinter Ihnen

Die Paarbeziehung ist die größte Ressource in der Kinderwunschbehandlung. Sie als Frau beziehen Kraft aus Ihrer Partnerschaft.

Schaffen Sie Bedingungen, damit Ihr Mann seine besten Seiten zeigen kann – unterstützend, aufmunternd, mitbetroffen.

Dies tut er, wenn er als Mann von Ihnen wahrgenommen und bestätigt wird. Wenn das Thema Kinderwunsch nicht dauerhaft überbordet – und wenn Sie ihm ihre lebensbejahenden und positiven Seiten zeigen.

FÜR SIE ALS MANN

39. Frauen erwarten keine Lösung von Ihnen

Reden ist für Frauen Stressabbau. Danach geht es ihnen meist besser, selbst wenn sich am objektiven Zustand gar nichts geändert hat. Trotzdem: Sie haben Zuwendung und Zuspruch erfahren. Der eine oder andere Mann gerät durch die vielen offenen Fragen und „worst case“-Szenarien seiner Frau jedoch selbst unter Stress. Er kann keine Lösung aus dem Ärmel zaubern. Es gibt keine Garantie auf ein Kind, die Kinderwunschfrage ist per se eine ergebnisoffene. Gut zu wissen für einen Mann, dass seine Frau keine Lösung von ihm erwartet – sondern in erster Linie Zuspruch, Optimismus und Umarmung braucht.

40. Wirklich helfen kann ihr nur ein Kind

Es ist logisch, dass eine intakte Schwangerschaft die bestmögliche Lösung für eine Frau mit unerfülltem Kinderwunsch ist. Insofern liegt durchaus Wahrheit in dem Satz: „Wirklich helfen kann ihr nur ein Kind.

“Betroffene Männer machen dabei aber oft die Erfahrung: „Egal was ich tue, es ist immer falsch.“ Lenke ich sie ab, nehme ich den Kinderwunsch nicht ernst genug. Spreche ich darüber, hat sie vielleicht gerade nicht an das Problem gedacht.

Doch auch Sie können als Mann Ihrer Frau helfen: Seien sie präsent, nehmen Sie Ihre Frau wortlos in den Arm, sprechen Sie ihr Mut zu, geben Sie Ihr Rückhalt. Und: Nehmen Sie Zurückweisungen nicht persönlich. Ihre Frau kämpft gerade mit dem inneren Problem, dass sie zur Zeit nicht das Gefühl hat, eine interessante und attraktive Partnerin für Sie zu sein. Zurückweisungen sind Ausdruck des ungelösten Identitätskonfliktes Ihrer Frau.

41. Ihr Bemühen kommt an!

Auch wenn Sie ihrer Frau keine Lösung anbieten können, nimmt sie wahr, dass Sie aufmerksam sind, dass sie mitdenken, neuen Therapiemethoden offen gegenüberstehen.

Besonders punkten können Sie, wenn Sie die ausgedruckten Artikel aus dem Internet lesen, die sie Ihnen hinlegt – oder gar die von ihr besorgten Pillchen und Vitamine einnehmen, die der Verbesserung Ihres Spermiogramms dienen sollen.

Eine einfache, aber wichtige Notfallmaßnahme ist es auch, in der Wohnung den Ort (etwa die Couch oder das Bett) zu verlassen, an dem Sie normalerweise Ihren Kinderwunschgedanken nachhängen. Damit begrenzen Sie automatisch Ihre Gedankenschleifen.

42. Emotionen sind nicht logisch, sondern psycho-logisch

Frauen wissen selbst, dass ihre Gefühle und Reaktionen in manchen Situationen irrational sind. Sie können sie nur nicht abstellen. Ängste rund um den Kinderwunsch können überwältigend sein – vor allem die Angst, dass es nie klappt.

Grundsätzlich müssen Gefühle nicht begründet werden – sie sind einfach da und sind in ihrem Erleben geprägt durch Persönlichkeitsstruktur und durch biografische Erlebnisse. Deshalb führen Warum-Frage nicht weiter, sie zielen auf den Kopf, nicht auf den Bauch, und sie bringen Menschen, denen es gerade nicht gut geht, in Erklärungsnot. „Warum fühlst Du Dich so, warum denkst du so?“ Das kann niemand klar beantworten. Psychologen wird sogar schon im Studium ausgetrieben, diese Frage überhaupt zu stellen.

43. Vermeiden verschlimmert

Das dicke Ding kommt, je mehr Sie als Mann das Thema vermeiden. Wenn Sie wenig über den Kinderwunsch reden, übernimmt Ihre Frau den Kinderwunsch für Sie beide. Sie sorgt damit unbewusst dafür, dass der Kinderwunsch in der Beziehung nicht untergeht. Für viele Frauen ist es aber ein Problem, dass immer nur sie mit dem Thema anfangen „müssen“. Wenn ich nichts sage, kommt von ihm gar nichts, meinen sie dann. Emotionaler Rückzug ist oft die Folge.

Als Mann fahren Sie also besser mit einer wohldosierten Offensivstrategie: Bringen Sie deutlich rüber, wie wichtig Ihnen ein Kind ist. Fragen Sie von sich aus nach, wie es Ihrer Frau mit dem Thema gerade geht.

44. Alles geht vorüber

Es kann sein, dass viele Jahre Ihrer Partnerschaft durch die Gefühlslagen Ihrer Frau dominiert werden.  Viele Kinderwunschmänner fragen sich dann ob „das“ denn nie aufhört – und ob ihre Frau über den unerfüllten Kinderwunsch je hinwegkäme, falls er sich nicht erfüllen sollte.

Die Erfahrung zeigt, dass Frauen einen unerfüllten Kinderwunsch sehr wohl verarbeiten können. Sie nehmen Abschied auf Raten – das sind die aktuellen Gefühlsschwankungen -, schließen fünf Minuten vor 12 ab, und erst dann orientieren sich neu.

45. Nehmen Sie die Gefühle Ihrer Frau nicht wörtlich

Eher extrovertierte Frauen reden sich ihren Kummer gern von der Seele. Dabei können durchaus Abgründe auftauchen wie „das Leben ist sinnlos ohne Kind“.  Erschrecken Sie nicht darüber, das kann sich schon am Tag darauf ganz anders darstellen. Insgesamt sind heftige Ansagen Ihrer Frau eine Aussage über ihr Temperament – und nicht über Ihrer gemeinsame Zukunft zu Zweit. Es ist jedoch verständlich, dass die Reaktionen Ihrer Frau für Sie besonders gewöhnungsbedürftig sind, wenn Sie eher eine überlegte und zurückhaltende Person sind.

46. Ihre Frau will etwas über Ihren Kinderwunsch erfahren

Im Grund können Männer gar nicht oft genug sagen, wie sehr sie sich ein Kind von ihrer Frau wünschen. Viele Kinderwunschmänner sind mit dieser Aussage allerdings vorsichtig geworden, um ihre Frau nicht noch mehr unter Druck zu setzen. Das Gegenteil ist hingegen richtig: Kraft und Motivation für die anstrengende Kinderwunschbehandlung bezieht eine Frau nicht zuletzt aus dem Kinderwunsch ihres Mannes. Sie weiß dann, wofür sie das alles auf sich nimmt.

Mit einer guten Balance fahren Sie als Mann am besten: „Wir geben wirklich jetzt viel (alles) für ein Kind. Aber ich weiß auch, dass wir es so oder so miteinander schaffen.“

47. Wissenschaftler haben herausgefunden, was die Frau wirklich will

…. aber kurz vor der Veröffentlichung hat sie ihre Meinung wieder geändert.

Dieses Bonmot zeigt wie schwer es für Sie sein kann, die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt zu finden. Was heute noch funktioniert hat, kann morgen schon nicht mehr helfen.

SOZIALES UMFELD

48. Wem sage ich was und wie?

Grundsätzlich gilt: „Outen“ ist nicht zwangsläufig besser als „Nicht-outen“.

Bevor Sie also jemandem von Ihrer Kinderwunschproblematik erzählen, sollten Sie zwei Dinge überprüfen:

  • Ist es mir wirklich ein Bedürfnis, es dieser Person zu sagen?
  • Wie wird die betroffene Person vermutlich darauf reagieren?

Ein echtes Bedürfnis, ihr momentan zentrales Lebensthema jemandem mitzuteilen, haben Sie in der Regel erst dann, wenn Sie Unterstützung brauchen – oder wenn Sie möchten, dass besagte Person sie voll und ganz versteht.

Komplizierter wird es hingegen, wenn Sie vor allem unangenehme Nachfragen abstellen möchten in Bezug auf Ihre Familienplanung. In diesem Fall sind Sie nämlich von außen gesteuert und versuchen womöglich impertinente Bemerkungen abzuwehren.

Der zweite Aspekt der Outing-Frage: die vermutete Reaktion des Gegenübers. Wenig hilfreiche Reaktionen wären Beschwichtigungsversuche, eine Tabuisierung des Themas, unwillkommene Tipps oder schlichtweg die Aussage, dass man auch ohne Kind glücklich werden kann. Wenn Sie eine dieser Reaktionen erwarten, seien Sie vorsichtig und überlegen Sie besser zwei Mal.

Denn: Sie brauchen all Ihre Kraft für die Bewältigung des Kinderwunsches – und nicht für zusätzliche neu erworbene Probleme.Gleichzeitig nimmt aber ein Outing auch Druck von Ihnen. Die Kommunikation nach außen fördert zudem die Akzeptanz des Kinderwunschproblems nach innen.

Einen allgemein gültigen Lösungsweg gibt es letztlich nicht. Die genannten Fragen müssen Sie immer wieder neu beantworten.

Tendenziell outen sich Kinderwunschpaare:

  • Den besten Freunden und der Herkunftsfamilie.
  • Nach einem langjährigen unerfülltem Kinderwunsch.
  • Wenn sie selbst spüren, dass sie für das soziale Umfeld „seltsam“ werden.
  • Indem sie nicht sagen, an wem von beiden Partnern es liegt.
49. Sonderfall Familie

Zu jedem Kinderwunschpaar gehören in der Regel verhinderte Großeltern. Und es kann auch sein, dass jüngere Geschwister in der Nachwuchsfrage an einem „vorbeiziehen“.

Taufen, runde Geburtstage oder Weihnachtsfeiern in der Familie sind meist emotional äußerst schwierige Veranstaltungen für das betroffene Paar.

Viele „Outings“ in der Familie laufen dennoch nicht ganz so schlecht ab. Insbesondere der Erwartungsdruck der verhinderten Großeltern wird danach weniger – und die Frage „Wollen die nicht oder können die nicht?“ ist endlich klar beantwortet.

Doch manchmal kommt es auch zu problematischen familiären Verstrickungen:

  • Es ist für Kinderwunschpaare schwer auszuhalten, wenn die eigenen Eltern andere Enkel zu Kronprinzen und Kronprinzessinnen machen, die Paare hingegen selbst mit „leeren Händen“ dastehen.
  • Wenn die eigene Mutter großes Mitleid bei fehlgeschlagenen IVF-Versuchen kann hat kann dies das Kinderwunschpaar noch weiter herunterziehen
  • Es beeinflusst die Betroffenen zusätzlich negativ wenn die Mutter eine mögliche Schuld   bei sich selbst sucht, wenn ihr Sohn ein stark eingeschränktes Spermiogramm hat.  „Was habe ich in der Kindheit übersehen?“ fragt sie sich dann.

So wie die Familie ist, so geht sie auch mit dem Kinderwunschproblem eines Familienmitglieds um:

  • Werden Probleme innerhalb der Familie grundsätzlich unter den Teppich gekehrt, wird über das Kinderwunschproblem genauso wenig gesprochen.
  • .Hat eine Familie unklare Grenzen nach innen und außen, kann es sein, dass der unerfüllte Kinderwunsch allen möglichen Verwandten und Bekannten mitgeteilt wird.
  • Bestehen alte Rivalitäten zwischen Geschwistern, kann die Beziehung zu Bruder oder Schwester noch eisiger werden, wenn diese ein Baby vor Ihnen bekommen.
  • Wird jemand grundsätzlich nicht ernst genommen in seiner Familie, wird sein Kinderwunschproblem ebenso bagatellisiert.

Das Prinzip, so wie die Familie ist, so geht sie mit dem Kinderwunschproblem eines Familienmitgliedes um, funktioniert allerdings auch umgekehrt, also in die positive Richtung:

  • Finanzielle Unterstützung für die Behandlungskosten.
  • Freistellung von Familientreffen: Sie brauchen nicht zu kommen, wenn es momentan zu schwierig für Sie ist.
  • Selbstverständliches Dasein Ihrer Mutter oder Schwester, wenn Sie Unterstützung und Aufmunterung benötigen.
  • Diskretion und Schutz: Die Familie weiß um Ihr Problem, die Endscheidung, ob Sie es ansprechen, liegt aber allein bei Ihnen.

Zusammenfassen lässt sich sagen: Ein unerfüllter Kinderwunsch bringt die Qualität der Beziehungen in der Herkunftsfamilie auf den Punkt. Insofern funktioniert es dort genauso wie zwischen Ihnen beiden als Paar.

50. Wenn andere schwanger werden

… wird es für die meisten Kinderwunschfrauen problematisch. Insbesondere die Eröffnung einer Schwangerschaft erwischt ungewollt kinderlose Frauen kalt. „Warum die und ich nicht?“- das ist die Frage, die sich dann innerlich aufdrängt. Manche nennen es Neid, manche sagen, dass es eher ein sozialer Schmerz ist. Das Glück der anderen reißt die eigene Wunde auf.

Besonders schwierig sind für Kinderwunschfrauen folgende Schwangerschaften:

  • Schwangere, die ihre Schwangerschaft „zelebrieren“.
  • „Huch – eigentlich wollte ich noch gar nicht schwanger werden“.
  • Stolze Mitteilungen, dass man erst vor zwei Monaten die Verhütung eingestellt hat – und dass es schon geklappt hat.
  • Schwangere Kolleginnen, denen man die nächsten Monate unausweichlich gegenübersitzt.

Was tun? Sich entziehen und das Unvermeidliche aushalten. Wichtig ist, dass Sie ein inneres Notfallprogramm bei Schwangerschaftseröffnungen und bei Dauergesprächen über Schwangerschaften abspielen können:

  • Arbeit oder ein vergessenes Telefonat vorschieben.
  • „Pokerface“ aufsetzen und schweigen.
  • Standard-Glückwünsche aussprechen.
  • Geschickt einen Themenwechsel einleiten.
  • Sich durch Ihren Mann schützen lassen, indem er die Gesprächsführung übernimmt und das Thema in andere Bahnen lenkt.

Jede Kinderwunschfrau hat mit diesen Manövern Erfahrung.

Bleiben Sie selbstbewusst. Sie brauchen all Ihre Kraft für die IVF. Sie müssen sich also nicht alles geben – insbesondere dann nicht, wenn Sie gerade in einem Behandlungszyklus stecken oder bis vor kurzem waren und ein negatives Testergebnis bekommen haben. Achtsam mit sich selbst zu sein, heißt auch, ganz gezielt schwierige Situationen zu vermeiden. „Kinderwunsch-Egoismus“ ist erlaubt.

Die Lebensrealitäten von Ihnen und Schwangeren werden sich – womöglich für einige Jahre –  trennen. Für jede Kinderwunschfrau stehen jetzt andere zentrale Lebensthemen im Vordergrund.

Ein Spezialfall ist die Schwangerschaft der besten Freundin. Dort empfiehlt es sich, dass Sie Ihre Situation und Ihre Gefühle erklären. Dass Sie deutlich sagen, Ihr möglicher Rückzug habe nichts mit der Freundin oder dem Baby zu tun –  sondern dass Sie sich gerade selbst im Weg stehen: Es sind mehr Gefühle aufgebrochen, als Sie verarbeiten können.

Vielleicht sind Sie auch bald schwanger – und ihre Lebenslinien laufen dann wieder parallel.

51. Gute Wünsche für das Kind

Dass sich Kinderwunschfrauen mit Schwangeren schwertun, ist bekannt. Es geht Ihnen nicht gut, auch weil sie sich missgünstig fühlen. Eine Spaltung kann für Ihr Wohlbefinden hilfreich sein: Innerlich sagen Sie sich, dass Sie Abstand zur Schwangeren brauchen, aber dem Kind wünschen Sie trotzdem alles Gute für sein Leben.

Es ist in Ordnung, dass Sie sich für die Schwangere nicht freuen können. Denn wieder einmal wird in dieser Situation deutlich, dass Sie von dem „magischen Zustand“ einer Schwangerschaft zur  Zeit noch weit entfernt sind. Wenn Sie sich aber nur auf das ungeborene Kind konzentrieren, können Sie Zugang zu anderen Gefühlen bei sich finden: Schutz, Unschuld, Wohlergehen, Lebensglück. Da das Kind nichts „dafür“ kann, schafft es fast jede Kinderwunschfrau, innerlich und leise dem Ungeborenen Gutes zu wünschen.

Die effektive Strategie für Schwangerschaftseröffnungen lautet demnach: Fokus weg von der schwangeren Frau, Fokus hin zum Kind.

Schließlich werfen Kinderwunschfrauen ihrem IVF- bzw. ICSI-Kind auch nicht vor, dass es erst der 23. Embryo war, der geklappt hat. Auch dort kann das Kind nichts für die 22 Embryonen davor, die nicht zu einer (intakten) Schwangerschaft geführt haben.

52. Innerer Halt durch ein persönliches Mantra

Mit Ihrem persönlichen „Powersatz“ wappnen Sie sich vor Schwangerschaftseröffnungen und -themen. Er hilft Ihnen, Distanz zum aktuellen Geschehen zu bekommen. Und: Er trägt dazu bei, dass Sie von Ihren Gefühlen nicht überwältigt werden. Ein solcher „Powersatz“ kann so lauten:

  • Möge das Kind ein glückliches Leben haben!
  • Die Welt pflanzt sich fort!
  • Früher oder später bin ich wahrscheinlich auch dabei!
  • Je mehr Schwangere um mich herum sind, umso mehr Schwangerschaftshormone atme ich ein (Zitat einer Kinderwunschfrau).

Psychologisch weiterführend ist insbesondere der erste Satz „Möge das Kind ein glückliches Leben haben!“. Hierbei richten Sie den Fokus auf das Kind – und nicht auf Ihre möglichen Neidgefühle gegenüber der Schwangeren. Sie spalten also, wie bereits erwähnt, zwischen Mutter und Kind auf.

53. Standardantworten auf grenzüberschreitende Fragen

Es kann sein, dass viele Jahre Ihrer Partnerschaft durch die Gefühlslagen Ihrer Frau dominiert werden.  Viele Kinderwunschmänner fragen sich dann ob „das“ denn nie aufhört – und ob ihre Frau über den unerfüllten Kinderwunsch je hinwegkäme, falls er sich nicht erfüllen sollte.

Um nicht kalt erwischt zu werden, sollten Sie Antworten auf die Frage „Wann ist es denn bei Euch soweit?“ vorbereitet haben. Diese Antworten sind abhängig von Ihrem Alter, von Ihrer Entscheidung sich zu outen oder nicht zu outen und von der Person des Fragestellers.

Wenn Sie auf der Meta-Ebene antworten, gehen Sie inhaltlich nicht auf die Frage ein. Sie sagen dann zum Beispiel:

  • Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.
  • Kein Kommentar! (Den Fragesteller dabei anschauen und …21….22….23 zählen.)
  • Das ist ein Thema, das nur mich und meinen Mann etwas angeht.
  • Das ist ein Thema, über das ich nicht mit Ihnen/Dir reden werde.
  • Sie werden es als Erste/r erfahren, wenn es soweit ist.
  • Die Frage ist unangemessen, ich frage Sie bestimmte Dinge auch nicht.
  • Stellung beziehen Sie inhaltlich mit folgenden Antworten:
  • Wir haben es für das nächste Jahr ins Auge gefasst. (Das sagen eher jüngere Frauen.)
  • Wenn schwanger werden so einfach wäre, hätten wir schon längst ein Baby.
  • Wenn eines kommt, ist es ok, aber man weiß ja, dass das mit über 40 nicht so einfach ist…
  • Schauen wir mal!

Sie haben ein Recht auf Nicht-Einmischung. Unerfüllter Kinderwunsch ist ein sehr persönliches und intimes Thema. Und: Es unglaublich, wie impertinent oder pseudo-vertraulich manche Menschen nachfragen. „Es muss sich ja nicht jeder so schnell fortpflanzen wie Du“ wäre manchmal eine gute Retourkutsche.

54. Jobprobleme

Eine Kinderwunschbehandlung ist zeitaufwendig und nicht unbedingt planbar. „Ich bin gefühlte 100-Mal durch die Tür des Kinderwunschzentrums gegangen“, beschreibt die Realität der Frauen ziemlich treffend.

Die Liste der Ausreden am Arbeitsplatz ist lang: Zahnschmerzen, Blasenentzündung, Magen-Darm-Infekt. Alles schon mal gehabt. Auch Handwerker waren frühmorgens öfter da – und die Schwiegermutter musste zum Arzt gefahren werden.

Irgendwann gehen die Ausreden jedoch aus. Und dann wird es insbesondere für Frauen mit einem fixen Arbeitsbeginn schwierig im Job. Denn auf der anderen Seite stehen die notwendigen Routineaufgaben des Kinderwunschzentrums: Die Hormone müssen morgens in der Praxis abgenommen werden, damit die Ergebnisse mittags feststehen. Bevor um 14 Uhr die sogenannten Erstgespräche beginnen, gibt der IVF-Arzt – nach Durchsicht der Blutergebnisse –  Anweisungen für seine Patientinnen im laufenden Zyklus: Wer muss wie weiter seine Eierstöcke stimulieren, wer muss wann den Eisprung mittels Hormonspritzen „auslösen“, wann ist die „Punktion der reifen Eizellen, sprich deren Entnahme für die anschließende künstliche Befruchtung. Eine Blutabnahme um 16 oder gar 17 Uhr, also zur Feierabendzeit, würde das Personal und den Arzt bis weit in den Abend hinein an die Praxis binden. Das ist schlichtweg nicht machbar. Deswegen stauen sich allmorgendlich zahlreiche Patientinnen, die dringend in die Arbeit müssen, im Wartezimmer ihres Kinderwunschzentrums. Denn der Kinderwunsch hat stets Priorität.

Das Dilemma zwischen Arbeit und Behandlung ist also kaum lösbar. Am besten fahren diejenigen Kinderwunschfrauen, denen eine oder zwei Kolleginnen den Rücken frei halten. Diese Kolleginnen sind informiert über den tatsächlichen Grund des Zuspätkommens, übernehmen das Telefon – und fragen nicht viel nach. Sie sind vorbereitet auf nur ungefähr planbare Fehltage wegen Punktionsterminen und anschließenden Embryonentransfers.

Manche Kinderwunschfrauen informieren auch Ihren Chef über die Behandlung und somit über den wahren Grund für ihre häufige Abwesenheit. Im Regelfall erhalten sie eine professionelle Reaktion des Vorgesetzten, etwa: „Das kenne ich schon, das hatten wir hier schon öfter.“ Knapp 200 000 geborene IVF- und ICSI-Kinder in Deutschland und eine x-fach höhere Behandlungsanzahl haben in der Arbeitswelt eben Spuren hinterlassen.

Ein wichtiger Tipp für Frauen, die sich am Arbeitsplatz nicht outen wollen: Lassen Sie besser  Atteste aus dem Kinderwunschzentrum vom Hausarzt umschreiben. Die Namen der örtlichen  IVF-Ärzte sind  in den Personalabteilungen meist bekannt. Und Hausärzte sind an Umschreibungen von solchen Krankmeldungen gewöhnt – viele Frauen vor Ihnen haben längst „Vorarbeit“ geleistet.

AUFHÖREN

55. Abschied vom Kinderwunschzentrum

Fast alle Ärzte in Kinderwunschzentren sind zu ihren Patienten ehrlich: Sie sagen ihnen, wenn es aus ihrer Sicht keinen Sinn mehr macht, die Behandlung fortzusetzen. Zumal Paare mit sehr reduzierten Chancen die Schwangerschafts-Statistik des IVF-Zentrums verschlechtern. Sogenannte frustrane Versuche sind somit nicht nur für das Paar, sondern auch für das IVF-Team frustran.Problematischer wird es bei Paaren, die pro IVF/ICSI-Versuch rein statistisch betrachtet eine sieben- bis zehnprozentige Chance auf die Geburt eines gesunden Kindes haben. Sollen sie einen 4., 5. oder gar 6. Versuch wagen? Bei diesen Fällen kann der behandelnde Arzt nicht eindeutig zu- oder abraten. Es liegt sehr viel im Ermessenspielraum des Paares: Hat es subjektiv alles getan? „Braucht“ einer von beiden Partnern noch einen letzten Versuch, um abschließen zu können?
Kinderwunschpaare brauchen stets die Expertise eines Reproduktionsmediziners, um ihr weiteres Vorgehen planen zu können. Es erfordert Mut, eine Klartext-Frage an den Arzt zu stellen – und eine Klartext-Antwort zu riskieren. Eine gute Frage ist dabei immer: „Was würden Sie an unserer Stelle machen?“ Bzw. bei einem männlichen Arzt: „Was würden Sie Ihrer Frau empfehlen?“
Psychologisch gesehen entsteht bei Patienten in dieser letzten Phase oft Wut und Ärger auf das Kinderwunschzentrum. Denn: Negative Gefühle erleichtern das endgültige Loslassen des unerfüllten Babywunsches. Aus Sicht der Praxis taucht das Kinderwunschpaar ab – nicht immer wird man damit dem Kinderwunschzentrum gerecht.
Nur wenige Paare führen ein Abschiedsgespräch mit ihrem Arzt im IVF-Zentrum. Dabei wird einvernehmlich die Behandlung beendet, Rückschau gehalten und vielleicht auch gegenseitige Wertschätzung ausgesprochen. Diese sogenannte „shared decision“, die offene, miteinander geteilte Entscheidung, ist für beide Seiten ausgesprochen positiv. Jeder weiß, woran er ist – und das Kinderwunschpaar kann die Behandlungsjahre besser in die Zeit der noch anstehenden Bewältigung integrieren.

56. Angst vor der Endgültigkeit

Das war’s endgültig: Davor haben alle Kinderwunschpaare am meisten Angst. Definitiv wissen Sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wie es sich „nachher“ anfühlt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der Schmerz in der letzten Phase der Kinderwunschbehandlung am größten ist.
Mit dem letzten „hcg negativ“ setzt eine gewisse Erleichterung ein. Die Wunde beginnt zu vernarben. Frauen stellen fest, dass sie bereits einen Abschied auf Raten hinter sich haben. Manche Männer werden plötzlich negativ überrascht: Sie verstehen emotional erst jetzt, dass sie nie Vater werden. Frauen haben dieses „worst-case“-Szenario hingegen schon öfter durchgespielt.

57. Entwickeln Sie rechtzeitig einen Plan B und C

Psychologen empfehlen, sich nach einigen Misserfolgen oder bei fortgeschrittenem Alter Gedanken darüber zu machen, was passieren soll, wenn es am Ende nicht klappt mit dem eigenen Kind. Durch diesen Plan B und C wird die Angst vor einem unerfüllbaren Kinderwunsch begrenzt:

Prinzipiell gibt es vier Möglichkeiten
• Adoption.
• Pflegekind.
• Behandlung im Ausland.
• Bewusst kinderlos bleiben.

Der Trend in den vergangenen Jahren geht hin zu einer Behandlung im Ausland, da in vielen Ländern, anders als in Deutschland, die Spende von Oozyten erlaubt ist.
Die Zahl der Adoptionen hingegen bleibt konstant niedrig; ein Pflegekind wiederum bietet den meisten Kinderwunschpaaren zu wenig Rechtssicherheit. Im Jahr 2014 gab es in Deutschland 1491 Fremdadoptionen, darunter 622 Kinder nicht-deutscher Herkunft (Auslandsadoption). (Quelle statistisches Bundesamt)
Kinderwunschpaare sollten die vier Möglichkeiten in eine persönliche Reihenfolge bringen: Was wäre für mich der Weg Nummer eins? Nummer zwei? Drei? Und vier? Machen Sie dies als Partnerübung, und zwar unabhängig voneinander. Das Ergebnis ist eine solide Basis für gemeinsame Gespräche mit dem Partner.

58. Wundheilung

Ein unerfüllter Kinderwunsch ist viele Jahre eine offene Wunde, die schmerzt. Jeder Misserfolg und jede schlechte medizinische Nachricht lassen sie noch mehr klaffen.

In den schwierigsten Momenten ist es kaum vorstellbar, dass dieses Leid, dieser seelische Schmerz, jemals wieder weniger wird. Die Praxis zeigt jedoch, dass auch eine solche Wunde mit der Zeit vernarbt. Aber: Die Narbe bleibt „wetterfühlig“. Sie meldet sich immer wieder, etwa dann, wenn die Menopause endgültig eingetreten ist. Oder wenn andere Paare Großeltern werden. Dennoch: Narbenschmerz ist deutlich kürzer und weniger intensiv als Wundschmerz. Und jeder Schmerz hat auch einen „Peak“. Mehr Schmerz geht nicht, sobald der Höhepunkt erreicht ist – danach wird es weniger.

Damit die Wunde heilt, ist es wichtig, dass Sie subjektiv das Gefühl haben, alles getan zu haben. Und sich selbst treu geblieben zu sein. Manche Grenzen haben Sie dabei sicher hinausgeschoben, andere wiederum geachtet.

59. Mit der Beziehung so umgehen wie mit dem Kind, das nicht gekommen ist

Die Beziehung ist die größte Ressource für die akute oder auch endgültige Bewältigung der Unfruchtbarkeit. Konkret heißt das: Gehen Sie mit der Partnerschaft genauso liebevoll, aufmerksam und lebendig um, wie mit dem Kind, das nicht kommen konnte. Das ist der Königsweg beim unerfüllten Kinderwunsch.
Viele Paare berichten, dass sie der Kinderwunschweg zusammengeschweißt hat. Darauf lässt sich gut aufbauen. So kann es nach und nach gelingen, dass Energie, Freude und gemeinsame Aktivitäten in einer neuen Form wieder Einzug in Ihr Leben halten.

60. Neuorientierung

Die Energie, die bisher an den unerfüllten Kinderwunsch gebunden war, kann nach dem Abschied von ihm anderweitig genutzt werden. Das geschieht aber im Regelfall nicht sofort. Neue Ideen und Vorhaben brauchen Zeit, um zu reifen. Ein schneller Ersatz für das Kind, das nicht kam, ist meist nur ein Strohfeuer.

Im Lauf der Zeit entscheiden sich einige Paare für Zusatzausbildungen und berufliche Veränderungen. Viele gewichten ihr Leben ganz neu: Geld und Karriere spielen keine so große Rolle mehr, dafür gewinnt die Zeit, die man miteinander verbringt, an Bedeutung.

Einen besonderen Stellenwert haben in dieser Lebenssituation Wahlverwandtschaften, also zum Beispiel Freundeskreise, Patenkinder, Kinder von Freunden. Das sind Beziehungen, die langfristig tragfähig sein können.

Nicht zuletzt engagieren sich kinderlos gebliebene Paare auch oft sozial: Sie leben mit und zum Teil auch für ihr Engagement, gehen in ihrer Fürsorglichkeit auf.

DAS GROSSE GANZE

61. Unerfüllter Kinderwunsch ist eine schwierige Lebensphase

In jedem Leben gibt es Zeiten der Unsicherheit, des längeren Misslingens und von Schmerz. Wer Leid als zum Leben dazugehörig betrachten kann, kann auch den unerfüllten Kinderwunsch in einen größeren Zusammenhang stellen.

Für viele Menschen gibt es einen Gesamtausgleich: Positives und Negatives aus vielen Lebensbereichen halten sich langfristig gesehen die Waage. Es gibt einen Gezeitenwechsel, einen Knackpunkt, von dem aus alles anders läuft. Bei Kinderwunsch ist dies ein positiver Schwangerschaftstest – der zunächst Ungläubigkeit auslöst.

In die schwierige Lebensphase Kinderwunsch gehört, dass Fruchtbarkeitsprobleme die gesamte Persönlichkeit labil machen. Auch die fortwährende Suche nach der ausgefeiltesten Therapiemethode verschlingt Kraft und Energie.

Tröstlich dass unerfüllter Kinderwunsch nur in einer bestimmten Phase maximal weh tut. Vorher war es leichter, nachher wird es wieder besser.

62. „Warum ausgerechnet ich?“

Dinge, die Sie nicht akzeptieren, können Ihre Gedanken vollkommen vereinnahmen. „Was habe ich verbrochen?“, fragen sich alle Kinderwunschfrauen. „Warum ausgerechnet ich?“ Auch vergleichen sich viele mit anderen Frauen, die problemlos schwanger wurden. Oder sie reiben sich an der Vorstellung von (Teil-)Familien auf, in denen Kinder emotional vernachlässigt und misshandelt werden.

Durch das Vergleichen entsteht jedoch ein Abhängigkeitsverhältnis zu Ihren Ungunsten: Ihnen geht es stets schlechter als den Vergleichspersonen. In Wirklichkeit sind diese Personen aber nicht „besser“ als Sie. Sie haben eben nur nicht dieses Thema, sondern im Zweifelsfall einfach ein anderes (was nicht zwangsläufig weniger wiegen muss).

Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum Sie zum Beispiel an keiner chronisch-degenerative Erkrankung leiden? Wahrscheinlich nicht.  Glück gehabt? Oder wie bewerten Sie es sonst?

Es ist jedoch völlig normal, dass Sie sich die „Warum-Frage“ stellen. Und: Sie werden sie auch solange stellen, bis Sie erkennen, dass es darauf keine Antwort gibt. Tatsache ist: Auch beim Kinderwunsch gibt es keine Gerechtigkeit.

Sie gehören zu den 10 Prozent von Paaren, die Fruchtbarkeitsprobleme haben und deshalb einen längeren Weg gehen müssen, um am Ende – wahrscheinlich – an ein Kind zu kommen.

63. Es ist so wie es ist

Ein Problem anzunehmen, ist ein langer, unangenehmer und widersprüchlicher Prozess mit häufigen Rückschlägen. Akzeptieren heißt unter den gegebenen, zum Großteil begrenzten Wahlmöglichkeiten die beste auszuwählen und umzusetzen. Es ist ein Einverstanden-Sein mit in gewisser Weise schicksalshaften Bedingungen.

Sie wissen heute nicht, wie lang oder wie kurz Ihr Kinderwunschweg sein wird. Sie wissen nicht, ob er sicher zu einem Kind führt, selbst wenn Ihnen Mediziner gute Chancen einräumen.

Akzeptieren heißt bei einem unerfüllten Kinderwunsch, dass Sie Ihr Problem annehmen. Dass also eine Schwangerschaft nicht sofort eintritt, dass Sie Mühen auf sich nehmen müssen für ihr Ziel – und dass der Ausgang trotz allem unsicher bleibt. Aber: Akzeptieren bedeutet nicht, dass Sie zum jetzigen Zeitpunkt eine endgültige Kinderlosigkeit annehmen müssen.

„Don´t cross the bridge until you come to it.“ (Überquere die Brücke nicht, wenn Du noch nicht hingekommen bist.) Das sagt ein englisches Sprichwort. Alles hat seine Zeit. Konzepte, die Sie sich heute über eine eventuelle endgültige Kinderlosigkeit machen, sind lediglich theoretische Konstrukte – und in fünf bis zehn Jahren höchstwahrscheinlich nicht mehr aktuell. Trotzdem ist ab einem gewissen Zeitpunkt ein Plan B, über den sich beide Partner einig sind, hilfreich.

64. Irgendwie und irgendwann kommen die meisten Paare doch zu einem Kind

Viele Professionelle, die mit Kinderwunschpaaren arbeiten, erhalten oft Jahre nach der aktuellen Beratung/Behandlung Geburtsanzeigen oder Adoptionsmitteilungen. Ein ähnlich positives Ergebnis zeigt sich aufgrund von Anrufen, die Mitarbeiter von Kinderwunschzentren bei ehemaligen Patienten machen. Viele Paare haben in der Zwischenzeit ein Kind bekommen.

Langjährig kinderlos zu sein macht offen für neue Wege. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Sehen Sie Ihr derzeitiges Kinderwunschproblem nur als eine Lebensphase. Über den Gesamtausgang ist meist noch lange nicht entschieden.

65. Die Lösung ist dass es momentan keine Lösung gibt

Das Schwierige an unerfülltem Kinderwunsch ist, dass es kaum so etwas wie Selbstwirksamkeit gibt. Darunter verstehen Psychologen, dass Sie zum Beispiel Ihren Lebenstil ändern, etwa abnehmen, und dass sich dadurch womöglich ihre Blutwerte verbessert haben. Aus A folgt B – und Sie haben einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet.

Bei einem unerfüllten Kinderwunsch gibt es solche Kausalitäten so gut wie nie. Und das führt bei vielen Menschen zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und des Kontrollverlustes. „Schwangerschaften passieren auf einer anderen Ebene“, antworten Reproduktionsmediziner öfter, wenn Sie keine klare Antwort auf die Frage haben, warum eine Behandlung nicht geklappt hat. Der Embryo ist der entscheidende Dritte. Die Erfüllung des Kinderwunsches hat auch eine spirituelle Dimension. IVF/ICSI sind „nur“ eine Art Einladung an das Kind.

66. Das worauf Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, wird mehr

Ein unerfüllter Kinderwunsch fühlt sich oft wie ein Bleimantel an, von dem man vollständig umhüllt ist. Wenn Sie immer wieder Gefühle des Mangels und der Benachteiligung in sich kultivieren, erzeugen Sie einen Sog nach unten. In Phasen, in denen Sie viel Sehnsucht verspüren, wir die Sehnsucht durch das ständige sich Sehnen nur noch mehr. Selbstmitleid ist demzufolge lediglich bis zu einem gewissen Grad in Ordnung.                                                                                                                                                            

Durch mentale Disziplin können Sie wiederum bis zu einem gewissen Grad lernen, Ihre negativen Gedanken und Gefühle zu begrenzen. Manchmal hilft auch nur „kalter Entzug“ (Stopp von Internetrecherchen, Pause in der Kinderwunschbehandlung) und neue Aktivitäten.

„Way out“ bedeutet: Richten Sie Ihre Energie auf andere Dinge als ihre – allmächtige – Sehnsucht nach einem Baby, auch wenn Sie anfangs wenig Lust dazu verspüren.

Christine Büchl

Dipl.Soz.Päd., Paartherapeutin, NLP Master

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